Vor Aufnahme der Tätigkeiten mit Peressigsäure ist eine Gefährdungsbeurteilung nach Gefahrstoffverordnung zu erstellen. Dies gilt für alle Tätigkeiten mit Gefahrstoffen. Die Vorgehensweise ist dem nachfolgenden Schema zu entnehmen.
Tabelle 5: Schematische Vorgehensweise zur Erstellung der Gefährdungsbeurteilung mit Verweisen auf die jeweiligen Kapitel
Erfassung der Tätigkeiten mit Gefahrstoffen | |
Ermittlung und Beurteilung: | |
· Gesundheitsgefahren | siehe Abschnitt 3.1.1 |
· Brand- und Explosionsverfahren | siehe Abschnitt 3.1.2 |
· Gefahren bei Transport, Lagerung, Bereitstellung und Entsorgung | siehe Abschnitt 3.1.3 |
· Gefahren beim Handling (Verdünnen, Abfüllen, Anwenden) | siehe Abschnitt 3.1.4 |
Substitution oder Minimierung der Anwendungskonzentration | siehe Abschnitt 3.2 |
Expositionsermittlung | siehe Abschnitt 3.3 |
Schutzmaßnahmen | |
· Technische Schutzmaßnahm | siehe Abschnitt 3.4 |
· Organisatorische Schutzmaßnahmen | siehe Abschnitt 3.5 |
· Persönliche Schutzmaßnahmen | siehe Abschnitt 3.6 |
· Wirksamkeitsprüfung und Dokumentation | siehe Abschnitt 3.7 |
Erfassung der Tätigkeiten
Bei der Gefährdungsbeurteilung sind alle Tätigkeiten mit PES zu erfassen und Prozesse zu berücksichtigen, bei denen PES freigesetzt wird.
Bei Änderungen, z. B. der Anwendungskonzentrationen oder der Anlagenleistung ist eine erneute Gefährdungsbeurteilung vorzunehmen. Dies gilt auch, wenn weitere Anlagen im Arbeitsbereich betrieben werden.
Peressigsäure hat eine reizende bzw. ätzende Wirkung. Das Ausmaß der Gewebsschädigung steigt
Wirkung auf Haut und Schleimhäute
Die Wirkung bei Hautkontakt kann von leichten Hautreizungen (Rötungen der Haut) bis hin zu schweren Schäden der Haut und des darunter liegenden Gewebes (Nekrosen) reichen.
Wirkung auf die Augen
Die Augen sind in besonderem Maße gefährdet! Durch Spritzer in die Augen kann es zu Reizungen und zu schweren Augenschäden und Erblindung kommen. Bei Augenverätzungen spielt Zeit eine entscheidende Rolle. Sofortige Erste Hilfe und schnellstmögliche augenärztliche Behandlung ist entscheidend.
Wirkung auf die Atemwege nach Einatmen
Das Einatmen von Aerosolen der stechend riechenden Peressigsäure kann zu Atemwegsreizungen (z. B. mit Husten), aber auch zu schweren, akuten Lungenerkrankungen führen.
Die Beschwerden können akut oder schleichend (z. B. in Form von Husten oder Schleimhautreizungen) auftreten. Atemnot als ein Zeichen eines schweren Krankheitsgeschehens (toxisches Lungenödem) kann sofort aber auch verzögert nach einer längeren beschwerdefreien Zeit (bis 24-48 h) auftreten.
Wirkung nach Verschlucken
Die Verwechslung von Peressigsäure mit Getränken ist durch vorschriftsmäßige Kennzeichnung und Lagerung unbedingt zu vermeiden, da durch Verätzungen schwere Langzeitschäden der Speiseröhre und des Magens auftreten können.
Aufgrund der unter 2.1 genannten physikalischen Eigenschaften der Peressigsäure bzw. der organischen Peroxide ist bei der Gefährdungsbeurteilung die Neigung zur Zersetzung zu berücksichtigen.
Peressigsäure kann sich in Essigsäure und Sauerstoffgas unter Wärmebildung zersetzen. Bereits bei Raumtemperatur läuft diese Zerfallsreaktion, allerdings ohne wahrnehmbare Begleiterscheinungen, ab. |
Durch die Bildung von Sauerstoff baut sich in fest verschlossenen Gebinden ein Druckpolster auf, das zum Bersten der Gebinde führen kann.
Die Selbstzersetzung der Konzentrate kann durch Wärmeeinwirkung, z. B. Sonneneinstrahlung und Verunreinigungen, z. B. Schwermetalle oder organische Substanzen, beschleunigt werden. Kleinste Mengen von z. B. Zigarettenasche, Rost, Metallspäne bzw. der Kontakt mit Münzen und Schmutzlappen reichen aus, um eine spontane Erhitzung mit anschließender Selbstzersetzung einzuleiten.
Die Behälter sind von Zündquellen fernzuhalten.
Transport
Die handelsüblichen PES-Konzentrate sind als Gefahrgüter im Sinne der Gefahrgutverordnung eingestuft. Dies gilt auch für den Transport von leeren, ungereinigten Originalgebinden. Die Vorschriften der Gefahrgutverordnung sind zu beachten, genaue Angaben sind Abschnitt 14 der Sicherheitsdatenblätter der Hersteller zu entnehmen.
Die Auslieferung von stabilisierten Peressigsäureprodukten wird in Gebinden bis 1.000 Liter Nennvolumen (IBCs) akzeptiert, soweit Füllgut und Transportgebinde folgende spezielle Sicherheitskriterien erfüllen:
Lagerung und Bereitstellung
Aufbewahrungstemperatur der Konzentrate:
Lagerräume müssen so errichtet und ausgerüstet sein, dass die höchstzulässige Aufbewahrungstemperatur von 30 °C für organische Peroxide nicht überschritten wird.
Die Einhaltung der höchstzulässigen Aufbewahrungstemperatur ist technisch bzw. organisatorisch sicherzustellen. Dies kann z. B. durch Überwachung der Raumtemperatur und Auslösen eines Alarmes bei Überschreiten der maximal zulässigen Temperatur erfolgen.
Freilager müssen ausreichenden Schutz vor Witterungseinflüssen bieten, also z. B. einen Schutz gegen zu starke Sonneneinstrahlung. Dies gilt auch für Flächen, an denen angelieferte PES-Konzentrate vor der Einlagerung im Freien zwischengelagert werden. Auch Lager im Innenbereich müssen über ausreichenden Schutz gegen erhöhte Temperaturen verfügen, z. B. durch Jalousien an den Fenstern.
Die Angaben zur Lagerung sind im Abschnitt 7 des Sicherheitsdatenblattes zu finden.
Gemäß Abschnitt 15 des Sicherheitsdatenblattes sind die Konzentrate erfahrungsgemäß in Wassergefährdungsklasse (WGK) 2 eingestuft.
Abb. 2: Lagerung von Kunststoffgebinden auf geeigneten Auffangwannen, Calvatis GmbH
Schutz- und Sicherheitsabstände, Anforderungen an Lagerräume:
Tabelle 6: Wesentliche Anforderungen der Gefahrstoffverordnung Anhang III Nr. 2 an Konzentrate der Gefahrgruppen OP III und OP IV
Gefahrgruppe OP III | Gefahrgruppe OP IV |
Schutz- und Sicherheitsabstände bei der Lagerung und bei Tätigkeiten
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keine Anforderungen |
Bauliche Anforderungen Wenn durch die eintretende Zersetzung eine Gefährdung auftreten kann, ist sicherzustellen, dass die Gebäude und Räume
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keine Anforderungen |
Bauweise des Lagers
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keine Anforderungen |
Auffangwannen/-räume:
Ein Austritt von Konzentrat und ein Vermischen der Konzentrate mit unverträglichen Stoffen ist zu verhindern, z. B. durch Lagerung der Konzentratbehälter auf geeigneten Auffangwannen (Abb. 2). Der Hallenboden kann gegebenenfalls, wenn er geeignet und ohne Bodenabläufe ausgeführt ist, als Auffangwanne dienen.
Die Auffangwannen bzw. -räume müssen mindestens den Rauminhalt des größten Gebindes aufnehmen.
Zusammenlagerung:
Die Konzentrate sind von Oxidationsmitteln, starken Basen, Reduktionsmitteln und von chlorhaltigen Stoffen und Gemischen fernzuhalten.
Entsorgung:
Peroxid-Abfälle sind grundsätzlich gefährliche Abfälle (Abfallschlüssel 160903). Dies gilt auch für restentleerte Gebinde (Abfallschlüssel 150110 „Verpackungen, die Rückstände gefährlicher Stoffe enthalten oder durch gefährliche Stoffe verunreinigt sind“). PES-Reste müssen im Gebinde verbleiben und dürfen wegen der Gefahr der Verunreinigung und der daraus resultierenden gefährlichen Reaktionen (Zersetzung) auf keinen Fall wieder in das Konzentratgebinde zurück geschüttet werden. Kleine Mengen verschütteter PES können mit Wasser verdünnt und zum Abwasser gegeben werden.
Die PES-Konzentrate dürfen nur in Originalbehältern gelagert werden.
Der Eintrag von Verunreinigungen in die Konzentratbehälter ist zu verhindern.
Beim Gebindewechsel ist auf höchste Sauberkeit von Sauglanzen und Anschlüssen zu achten. Auf den Boden abgelegte und daher verschmutzte Sauglanzen sind eine häufige Unfallursache - daher bspw. Aufhängung vorsehen! Generell sind die Gebinde zu verschließen, wobei ein Gasaustausch mit der Umgebung möglich sein muss (Abbildung 3).
Abb. 3: Kanisterverschluss mit Vorrichtung für eine mögliche Druckentlastung des Behälters
Wegen des Ausdampfens von Gefahrstoffen aus den Konzentratbehältern ist gegebenenfalls eine geeignete Absaugeinrichtung vorzusehen.
Behälter, Rohrleitungen, Schläuche, Dichtungsmaterialien etc. müssen aus geeigneten Werkstoffen bestehen (Tabelle 7). Bei der Auswahl von Werkstoffen sind die Hinweise des Herstellers der PES-Konzentrate zu berücksichtigen.
Tabelle 7: Eignung verschiedener Materialien für den Kontakt mit PES
Eignung des Materials | Material |
geeignet |
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bedingt geeignet (Material versprödet mit der Zeit) |
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ungeeignet |
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PES-Konzentrate dürfen nicht in Rohrabschnitten eingeschlossen werden. Dosierleitungen müssen deshalb nach jedem Dosiervorgang drucklos gemacht werden. An Stapelbehältern muss ein Ventil geöffnet bleiben, um bei einer eventuellen Reaktion den entstehenden Druck sicher abzuführen. Überdruckleitungen an den Dosierpumpen oder Rohrleitungen dürfen auf keinen Fall in den Konzentratbehälter zurückgeführt werden.
In Dosierleitungen, die PES-Konzentrate führen, ist ein Überschreiten der höchstzulässigen Aufbewahrungstemperatur auszuschließen. Abhängig von den jeweiligen betrieblichen Gegebenheiten kann unter Umständen eine Begleitkühlung erforderlich sein.
Um bei Reparaturarbeiten sicheres Arbeiten an Konzentratleitungen zu ermöglichen, müssen Einrichtungen zum Spülen der Rohrleitungen mit Wasser vorgesehen werden.
Eine sachgemäße Herstellung der Verdünnung entsprechend der jeweiligen Herstellerangabe ist zu gewährleisten. Beim Verdünnen ist stets kaltes Wasser vorzulegen:
Erst das Wasser – dann die Säure, sonst geschieht das Ungeheure! |
Ein Überdosieren muss wegen der möglichen Gesundheitsgefährdungen der Beschäftigten verhindert werden. Dies erfordert eine regelmäßige Wartung und Pflege der Dosieranlagen und Kontrolle der Anwendungskonzentration.
Werden die verdünnten Desinfektionsmittel in einem geschlossenen technischen System (z. B. einer CIP-Anlage) zur Desinfektion von Rohrleitungen, Behältern oder Maschinen umgepumpt, sind Gefährdungen für Versicherte weitgehend ausgeschlossen.
Das Abfüllen geringerer Mengen, z. B. aus Fässern in kleinere Gebinde, sollte vermieden werden. Bereits abgefüllte Chargen dürfen unter keinen Umständen wieder in die Konzentratgebinde zurückgefüllt werden, hier besteht die Gefahr des Eintrags von Verschmutzungen ins Originalgebinde. Vor allem Schwermetalle und organische Substanzen können die Selbstzersetzung der PES einleiten.
Es sind geeignete Vorrichtungen bereitzustellen, die ein Verspritzen und Verschütten vermeiden. Solche Vorrichtungen sind beispielsweise Heber, Dosierhähne oder Ballonkipper.
Zur Substitution der PES stehen beispielsweise folgende Verfahren und Ersatzstoffe zur Verfügung:
Falls eine Substitution nicht möglich ist, sollten nur Konzentrate der Gefahrgruppe OP IV verwendet werden.
Die Anwendungskonzentrationen sollten, angepasst an die Erfordernisse der Produktion bzw. der Qualitätssicherung, so niedrig wie möglich sein: zuverlässige keimabtötende Wirkung bei möglichst niedriger Anwendungskonzentration!
Auch die Desinfektionsmittelmenge soll so gering wie nötig sein, z. B. durch Desinfektion der Preforms bei der Abfüllung in PET-Gebinde.
Zusätzlich zur Kontrolle der Peressigsäurekonzentration empfiehlt sich, auch die Wasserstoffperoxidkonzentration zu überprüfen.
Insbesondere bei der Rückführung von Desinfektionsmittel kann durch die Anreicherung von Wasserstoffperoxid eventuell auf eine geringere Anwendungskonzentration umgestellt werden, da die Summe an Peroxiden zur Keimabtötung ausreichend ist.
Die Belastung an den Arbeitsplätzen durch PES- und Wasserstoffperoxidgase und -aerosole ist durch Messungen zu ermitteln. Erfahrungsgemäß spielt die Essigsäure eine untergeordnete Rolle, als Leitkomponenten sind die beiden Peroxide PES und Wasserstoffperoxid zu bestimmen. Eine ausschließliche Ermittlung der Wasserstoffperoxidkonzentration in der Luft ist zur Beurteilung der Exposition nicht ausreichend.
Bei gesundheitlichen Beschwerden in Verbindung mit der deutlichen Wahrnehmung eines essigsäureähnlichen Geruches konnten PES-Konzentrationen über dem MAK-Wert (0,32 mg/m3) nachgewiesen werden.
Speziell bei Getränkeabfüllanlagen ist mit Emissionen zu rechnen, da die Anlagen mit geringem Überdruck betrieben werden.
Aufgrund der akut reizenden Wirkung der Peroxide sind vor allem die Expositionsspitzen zu berücksichtigen.
Dies betrifft unter anderem
Ferner ist die Belastung bei Wartungsarbeiten zu betrachten.
Die Ergebnisse sind mit den Grenzwerten (siehe Kapitel 2.5) zu vergleichen.
Die Schutzmaßnahmen sind nach dem TOP-Prinzip (technische, organisatorische und persönliche Schutzmaßnahmen) festzulegen.
Zur Herstellung gebrauchsfähiger Konzentrationen, (das sind in der Regel Konzentrationen bis 1 % PES) eignen sich automatische Dosier- und Mischstationen. Die konzentrierte Peressigsäure wird z. B. aus einem Gebinde angesaugt und dosiert in eine Wasservorlage gegeben (Abb. 4 und Abb. 5).
Abb. 4: Automatische Dosier- und Mischstation mit fester Verrohrung, Calvatis GmbH
Abb. 5: Fässer mit PES-Konzentrat im Dosierraum ohne feste Verrohrung, Jedermann-Verlag GmbH
Abb. 6: Geschlossenes Kappenbad mit zusätzlicher Absaugung
Abb. 7: Geschlossene Brauchwasserführung über Verrohrung, die direkt in den Gully geführt wird.
Auf Grundlage des Sicherheitsdatenblattes und der betrieblichen Gefährdungsbeurteilung ist eine für die Beschäftigten gut verständliche Betriebsanweisung zu erstellen (siehe beispielhaft die Vorlage einer Betriebsanweisung für "Weicoper-Forte" im Anhang) . Die Betriebsanweisung ist um die betriebsspezifischen Aspekte zu ergänzen.
Vor Aufnahme der Tätigkeiten und danach in regelmäßigen Zeitabständen, jedoch mindestens 1 mal pro Jahr, sind die Beschäftigten anhand der Betriebsanweisung über Tätigkeiten mit PES und geeignete Schutzmaßnahmen zu unterweisen. Inhalt und Zeitpunkt der Unterweisung sind zu dokumentieren und von den Unterwiesenen zu unterzeichnen. Bei der Unterweisung sind auch Expositionsspitzen zu thematisieren. Auch das Wartungspersonal ist zu unterweisen.
Bei Tätigkeiten mit PES sind je nach Ergebnis die in der Gefährdungsbeurteilung aufgeführten persönlichen Schutzausrüstungen bereitzustellen und zu verwenden (siehe Tabelle 8).
Die Funktions- und Wirksamkeitsprüfung der technischen Schutzmaßnahmen, z. B. der raumlufttechnischen Anlage, ist regelmäßig (mindestens alle drei Jahre) durchzuführen. Das Ergebnis ist zu dokumentieren, Art, Umfang und Prüffristen hat der Arbeitgeber eigenverantwortlich festzulegen.
Tabelle 8: Persönliche Schutzausrüstung für die Tätigkeit mit Peressigsäure