2. Gewalt- und Extremereignisse am Arbeitsplatz

Welche Gewalt- und Extremereignisse am Arbeitsplatz gibt es?

Mitarbeiter und Führungskräfte können

Deshalb:
Keine Zeit verlieren! Melden Sie einen Unfall / Überfall mit psychischen Verletzungsfolgen umgehend der BGN! (Meldeformular siehe Anhang 5)

Gut zu wissen
Ein Überfall am Arbeitsplatz oder auf dem Arbeitsweg kann ein Arbeitsunfall ein. Hier greift das umfassende Leistungssystem der BGN.
Versicherungsschutz und Leistungen der BGN umfassen auch die Heilbehandlung von Unfall- und Überfallopfern mit ausschließlich seelischer Verletzung (Trauma).
Eine seelische Verletzung infolge eines Unfalls oder Überfalls muss medizinisch abgeklärt, betreut und gegebenenfalls behandelt werden. Nur so kann langfristigen gesundheitlichen und psychosozialen Beeinträchtigungen vorgebeugt werden.
In jeder BGN-Bezirksverwaltung (siehe Kapitel 3) gibt es spezielle Ansprechpartner, die sich um Menschen mit einem unfall-/überfallbedingten psychischen Trauma kümmern und einen schnellen Kontakt zu einem Psychotherapeuten herstellen können.
Je schneller ein Unfall- bzw. Überfallopfer betreut wird, desto besser lässt sich eine psychische Traumatisierung behandeln. Bei umgehendem Eingreifen reichen erfahrungsgemäß meistens wenige Sitzungen beim Psychotherapeuten, um die Traumatisierung zu verarbeiten. Beginnt die Behandlung dagegen mit zeitlicher Verzögerung, dann ist die Behandlung meist schwieriger und langwierig.

 

2.1 Raubüberfälle im Betrieb

Versicherungsschutz und Leistungen der BGN umfassen auch die Heilbehandlung der Opfer von Raubüberfällen mit ausschließlich seelischer Verletzung. Je schneller ein Opfer betreut wird, desto besser lässt sich eine seelische Verletzung vorbeugen bzw. behandeln.

Plötzlich stand er mit gezogener Waffe vor mir

Gastwirt Michael M. wollte gerade die Tageseinnahmen zählen, als der vermummte Täter mit einer Waffe vor ihm stand und das Geld verlangte. Als er seiner Forderung nicht sofort nachkam, zog der Täter ihn auf den Boden und hielt ihm die Waffe an den Hals. Trotz geringer körperlicher Schäden litt er danach unter erheblichen Angstgefühlen und Schlafstörungen. Nach einer BGN-Beratung erfolgte eine Therapie mit einem Psychotherapeuten. Seitdem kann Michael M. wieder durchschlafen und angstfreier arbeiten.

Raubüberfall mit einer Schusswaffe

Keine Zeit verlieren! Melden Sie einen Unfall/Überfall mit psychischen Verletzungsfolgen umgehend der BGN! (Meldeformular siehe Anhang 5)

Um Raubüberfälle zu vermeiden, können geeignete vorbeugende Maßnahmen getroffen werden.

Diese Maßnahmen ergeben sich aus der durch den Unternehmer zu erstellenden Gefährdungsbeurteilung. Bestandteil der Gefährdungsbeurteilung ist ein Maßnahmenplan mit den personellen Verantwortlichkeiten und der Festlegung zur zeitlichen Umsetzung. Die Maßnahmen sind an sich verändernde Situationen anzupassen. Daneben müssen den Beschäftigten sowohl die richtigen Verhaltensweisen während als auch nach einer Gewalttat vermittelt werden.

Wie Sie die Gefährdungsbeurteilung für Ihren Betrieb durchführen und dokumentieren können, entnehmen Sie beispielsweise unserer ASI 10.0 "Handlungsanleitung Betriebliche Gefährdungsbeurteilung", ASI 10.12 PDF-Symbol "Arbeitsbedingungen im Gastgewerbe verbessern", ASI 10.2 PDF-Symbol "Arbeitsbedingungen im Backbetrieb verbessern" und anderen ASIs der 10-Reihe.

Die nachstehenden Hinweise geben eine Hilfestellung zur Auswahl geeigneter vorbeugender Maßnahmen. Hierzu können sowohl Ihre Sicherheitsfachkraft als auch Ihr Betriebsarzt unterstützen. Kleinstbetriebe mit bis zu 10 Beschäftigten, die sich für das Branchenmodell qualifiziert haben, können sich kostenfrei an das zuständige Kompetenzzentrum wenden (www.bgn.de unter Prävention > Arbeitsmedizinische und sicherheitstechnische Betreuung > Branchenmodell > Bedarfsberatung oder zentrale Servicenummer: 0621/4456-3650).

 

2.1.1 Technische und bauliche Maßnahmen

Technische und bauliche Maßnahmen haben in ihrer Wirksamkeit die größte Reichweite. Sie sind deshalb – neben den organisatorischen und personenbezogenen Maßnahmen – eine Grundvoraussetzung. So kann z. B. eine gut gesicherte Tür und eine gute Ausleuchtung das Überfallrisiko bereits deutlich senken.

Beachten Sie:
Die Wirksamkeit der technischen und baulichen Maßnahmen haben die größte Reichweite.

Reichweite der Massnahmen

 

2.1.1.1 Die Betriebsstätte

Das Risiko eines Überfalls kann durch eine geeignete Gestaltung des Außenbereiches stark minimiert werden. Hierbei geben die nachstehenden Aspekte hilfreiche Anhaltspunkte:

 

2.1.1.2 Türen und Fenster

Anforderungen an Türen

Anforderungen an Fenster

 

2.1.1.3 Technische Einrichtungen

Personen-Notsignal-Anlagen

Personen-Notsignal-Anlagen (PNA) sind Einrichtungen zum Auslösen und Übertragen von willensabhängigen und willensunabhängigen Alarmsignalen in Notfällen. Sie bestehen aus Personen-Notsignal-Geräten (PNG) in Verbindung mit einer Personen-Notsignal-Empfangsanlage (PNEZ). Nähere Informationen sind in der DGUV-Regel 112-139 "Einsatz von Personen-Notsignal-Einrichtungen" enthalten.

 

2.1.2 Organisatorische Maßnahmen

Sind die baulichen und technischen Maßnahmen umgesetzt, wendet man sich den organisatorischen Maßnahmen zu.

Betriebsanweisung und Unterweisung

Zur effektiven Durchführung von Unterweisungen empfiehlt sich die Erstellung einer Betriebsanweisung (Anhang 1), in der die organisatorischen und verhaltensbezogenen Maßnahmen beschrieben werden. Die Beschäftigten sollten dazu ermutigt werden, gefährliche bzw. unfallträchtige Situationen der vorgesetzten Person zu melden, damit hieraus Schlüsse zur Verbesserung gezogen werden können. Diese sollten dann in die Betriebsanweisung mit aufgenommen werden. Anhand dieser Betriebsanweisung sind die Versicherten durch den Unternehmer in verständlicher Art und Weise vor der Arbeitsaufnahme und danach mindestens einmal jährlich zu unterweisen. Die Teilnahme an der Unterweisung ist durch die Unterschrift der Beschäftigten zu dokumentieren.

Aufgabe des Unternehmers ist es, darauf zu achten, dass die Festlegungen aus der Betriebsanweisung eingehalten werden.

Im Folgenden wird eine Auswahl organisatorischer Maßnahmen dargestellt, die je nach betrieblichen Verhältnissen ausgewählt und angepasst werden können.

 

2.1.2.1 Ansprechpartner für den Notfall

Warten Sie nicht bis der Notfall eintritt. Informieren Sie sich zuvor, mit wem Sie im Notfall Kontakt aufnehmen können.

Wählen Sie im Notfall immer den Notruf 110!

 

2.1.2.2 Der richtige Umgang mit Zahlungsmitteln

Umgang mit Zahlungsmitteln im Betrieb

Geldtransport

Zögern Sie nicht, Verdachtsfälle sofort der Polizei zu melden.

Bei selbst durchgeführtem Geldtransport empfiehlt sich die Beachtung folgender Hinweise:
Auswahl von mindestens zwei geeigneten Personen über 18 und unter 65 Jahren.
Geldboten sollten möglichst gemeinsam mit anderen Personen den Betrieb verlassen.
Den Geldtransport möglichst nicht in Fahrzeugen durchführen, deren Kennzeichnung/Beschriftung auf den Betrieb schließen lässt.
Besondere Aufmerksamkeit ist beim Betreten und Verlassen des Geschäftes erforderlich. Vor dem Verlassen des Betriebes sollte die unmittelbare Umgebung auf verdächtige Gegebenheiten, wie abgestellte Fahrzeuge (Insassen), Motorradfahrer, wartende Personen überprüft werden.
Den Geldtransport möglichst nicht bei Geschäftsschluss, sondern zu wechselnden Zeiten und auf unterschiedlichen gut beleuchteten und belebten Wegen vornehmen.
Um einen Rückschluss auf den Inhalt zu verhindern, ist für den Transport ein Schutzbehältnis in einer unauffälligen Tasche zu verwenden.
Keine zusätzlichen Tätigkeiten durchführen, wie z. B. Gespräche mit fremden Personen, Fortbringen von Post, keine Umwege usw.
Geldtransport in unauffälliger Kleidung durchführen (ohne Firmenwerbung).

 

2.1.3 Personenbezogene Maßnahmen

2.1.3.1 Richtiges Verhalten während eines Überfalls

Erkennt der Täter das Auslösen der Überfallmeldeanlage, könnte seine Gewaltbereitschaft steigen. Daher ist die Überfallmeldeanlage erst auszulösen, wenn der Täter den Betrieb verlassen hat und die Türen abgeschlossen sind. Damit verhindern Sie die Gefahr einer Geiselnahme und ein erneutes Eindringen des Täters in den Betrieb.

Der Überfall stellt sowohl für das Opfer als auch für den Täter eine extreme Stresssituation dar. Diese Situation kann eskalieren, wenn der Täter mit dem Fehlverhalten des Opfers zusätzlich konfrontiert wird oder ihm die Fluchtmöglichkeit genommen wird. Deshalb ist es besonders wichtig, sich während des Überfalls richtig zu verhalten.

Hierzu dienen die nachstehenden Verhaltensregeln:

Den Täter nicht verfolgen. Sie bringen sich sonst unnötig in Gefahr.

 

2.1.3.2 Richtiges Verhalten nach einem Überfall

Helfen Sie zuerst Verletzten oder Gefesselten. Rufen Sie erforderlichenfalls einen Arzt oder Krankenwagen.

Melden Sie das Ereignis der Polizei oder beauftragen Sie jemanden mit der Meldung!

Der Polizei-Notruf 110 benötigt folgende Angaben:

Wer meldet?

Was ist passiert?

Wo ist es passiert?

Wann ist die Tat passiert?

Wie kann man dem Opfer helfen?

Möglichst schnell ein Gespräch mit den Betroffenen unter Berücksichtigung folgender Aspekte führen:

Auf was muss noch geachtet werden:

 

2.2 Gewalt am Arbeitsplatz durch Übergriffe von Kunden

Unter Gewalt versteht man "Vorkommnisse, bei denen Beschäftigte ... beleidigt, bedroht oder tätlich angegriffen werden, so dass ... ihre Gesundheit, ihre Sicherheit oder ihr Wohlbefinden gefährdet wird" (nach ILO 2003).

Erleidet ein Beschäftigter körperliche Gewalt am Arbeitsplatz durch Kollegen oder Kunden, kann dies ein Arbeitsunfall sein. Versicherungsschutz und Leistungen der BGN umfassen neben der Behandlung körperlicher Schäden auch die Heilbehandlung seelischer Verletzungen. Je schneller ein Opfer betreut wird, desto besser lässt sich eine seelische Verletzung durch die Gewalteinwirkung vermeiden bzw. behandeln.

Verlieren Sie keine Zeit. Melden Sie den Unfall umgehend der BGN (Meldeformular im Anhang).

Plötzlich schlug der Gast zu

Rolf E. wollte dem stark angetrunkenen Gast Werner K. keinen Alkohol mehr ausschenken, da eskalierte die Situation.

Rolf E. meinte es nur gut mit Werner K. und wies ihn darauf hin, dass er sich in diesem Zustand nicht mehr hinters Steuer setzen dürfe. Was Rolf E. nicht wusste: Werner K. war extrem frustriert. Er hatte an diesem Tag schon eine Auseinandersetzung mit seinem Chef und zusätzlich Streit mit der Partnerin gehabt. Werner K. platzte der Kragen und wollte sich keine weiteren Bevormundungen anhören. Nach einem kurzen Wortgefecht schlug Werner K. zu. Auseinandersetzung zwischen Gast und Kellner

 

2.2.1 Wie entsteht Gewalt?

Gewalt kann verschiedene Ursachen haben: Diskutiert werden Erziehungs- und Sozialisationsdefizite ebenso wie gesellschaftliche, insbesondere wirtschaftliche und soziale Veränderungen. Eindeutige Ursachen lassen sich im Allgemeinen nicht ausmachen. Meistens müssen mehrere Faktoren zusammenkommen, damit ein Mensch gewaltbereit wird.

Nachstehende Tabelle zeigt mögliche Risikofaktoren für die Entstehung von Gewalt auf.

Typische Risikofaktoren
Mitarbeiterin/Mitarbeiter
  • ist in einer Machtposition oder stellt eine Autorität dar,
  • verweigert dem Kunden einen Dienst bzw. eine Nachfrage,
  • verhält sich unangemessen, z. B. respektlos,
  • trifft auf Kunden, die ihn sexuell belästigen,
  • streiten untereinander.
Kundin/Kunde
  • möchte Forderungen unbedingt durchsetzen,
  • fühlt sich hilflos gegenüber einer mächtigen Verwaltung,
  • hat enttäuschte Erwartungen,
  • ist frustriert,
  • ist alkoholisiert,
  • verhält sich deutlich von der sozialen Norm abweichend (z. B. soziale Randgruppe),
  • Kunde verhält sich sexuell aufdringlich.
Kommunikationsprobleme aufgrund
  • der Sprache (z. B. ausländischer Kunde bzw. Gast),
  • unterschiedlichen Bildungsgrades,
  • kultureller und religiöser Barrieren,
  • Dialekt, undeutliche Sprechweise, Hörschwierigkeiten etc.,
  • Unverständnis gegenüber dem Standpunkt oder der Sichtweise des Gegenübers,
  • Vorurteilen.
Organisation
  • Einzelarbeitsplatz (z. B. Bäckereifiliale oder Rezeption im Hotel),
  • offensichtliche Organisationsmängel (z. B. Softwarefehler, nicht auffindbare Unterlagen etc.),
  • lange Wartezeiten,
  • Auslieferungsservice (z. B. Pizzaservice),
  • Zimmerservice im Hotel.
Technische Faktoren
  • Arbeitsmittel, die als Waffe dienen können (z. B. Messer, Schere, Aschenbecher etc.)
  • aggressionsfördernde Atmosphäre (z. B. durch hohe Lautstärke)
  • Umgebungsgestaltung (z. B. Licht, Wärme, Enge, fehlende Sitzmöglichkeiten),
  • ungesicherte Eingänge.
  • fehlende Alarmsysteme, Zugangskontrollen etc.

Je stärker die Mitarbeiter durch ihre Tätigkeit belastet sind, z. B. durch hohen Arbeitsdruck, desto leichter können Konflikte entstehen. Eine gute Arbeitsorganisation, z. B. eine vorausschauende Personal- und Zeitplanung, schafft Abhilfe.

 

2.2.2 Was kann der Unternehmer tun?

Der Unternehmer sollte die für ihn relevanten Risikofaktoren aus obiger Tabelle auswählen und geeignete Maßnahmen ableiten. Eine regelmäßige Information der Beschäftigten über die abgeleiteten Maßnahmen trägt dazu bei, besser auf Konfliktsituationen vorbereitet zu sein und reagieren zu können. Hierzu gehört auch eine Regelung zur Anwendung des Hausrechts.

Organisieren und kommunizieren Sie, wie bei Grenzüberschreitungen von Gästen zu verfahren ist.

Die Führungskräfte sollten immer auf der Seite Ihrer Beschäftigten stehen.

 

2.3 Überfälle auf dem Arbeitsweg

Ein Überfall auf dem Arbeitsweg kann ein Arbeitsunfall sein. Versicherungsschutz und Leistungen der BGN umfassen auch die Heilbehandlung von Überfallopfern mit ausschließlich seelischer Verletzung. Je schneller ein Überfallopfer betreut wird, desto besser lässt sich eine seelische Verletzung vermeiden bzw. behandeln.

 

2.4 Zeugen von Unfällen und Extremereignissen

Versicherungsschutz und Leistungen der BGN umfassen auch die Heilbehandlung der Zeugen oder Verursacher von Unfällen und Zeugen von Extremereignissen mit ausschließlich seelischer Verletzung.

Keine Zeit verlieren! Unfälle umgehend der BGN melden! (Meldeformular Anhang 5).

Jeden Morgen kam die Angst zurück

Bäckereiverkäuferin Simone K. war frühmorgens auf dem Weg zur Arbeit überfallen und ausgeraubt worden. Verletzt wurde sie dabei nicht. Aber jeden Morgen, wenn sie das Haus verließ, um zur Arbeit zu gehen, kam die Angst zurück. Mit professioneller Hilfe konnte Simone K. diese Angstattacken schließlich überwinden. In die Wege geleitet hatte das die BGN.
Frau mit Panikattacke

Das Bild des Unfalls ständig vor Augen

Stefan R. hatte mit dem Gabelstapler beim Zurücksetzen einen Kollegen angefahren, der dabei schwer verletzt wurde. Danach konnte Stefan R. kaum noch arbeiten. Er hatte Schlafstörungen und fühlte sich nur noch deprimiert. Immer wieder tauchte in seinem Kopf das Bild des schrecklichen Unfalls auf. Dann sah er seinen Kollegen, wie er regungslos am Boden lag. Es war alles seine Schuld. Dieser Gedanke verfolgte ihn Tag und Nacht. Die BGN hat Stefan R. eine psychotherapeutische Betreuung besorgt, mit deren Hilfe er seine psychischen Probleme überwinden konnte.

Je schneller ein Unfallopfer betreut wird, desto besser lässt sich eine mögliche seelische Verletzung vermeiden bzw. behandeln.

 

 

Autor: Hartmann
2019-5-22