Gefühlsgesteuert

Emotionen im Straßenverkehr

von Dr. Michael Geiler | aus Akzente


Emotionen gehören zum Wesen des Menschen. Daher kann es nicht weiter verwundern, dass sie auch sein Erleben und Verhalten im Straßenverkehr mitbestimmen. Emotionale Hintergründe steuern uns oft, wenn wir ein Fahrzeug steuern.

Psychologische Studien haben immer wieder die emotionalen Aspekte des Autofahrens aufgezeigt. Das Fahrzeug ist nicht nur eine Ortsveränderungsmaschine, sondern es dient auch der Befriedigung anderer Motive. Befragungen von Autofahrern zeigten, dass für viele das Fahren ein Lusterlebnis darstellt, Spaß und Freude bereitet und als Flucht aus dem Alltag erlebt wird. Oft dient es auch dazu, Frustrationen und Spannungen abzureagieren. Zusätzlich kann der Wunsch nach Geltung und Prestige eine Rolle spielen. Man kann das Gefühl eigener Größe und Grenzenlosigkeit erleben, indem man sich durch hohe Geschwindigkeiten Gefahren aussetzt, diese dann aber meistert.

Beim Fahren können sich euphorische Zustände einstellen. Euphorie ist ein Zustand gehobener Stimmung. Man triumphiert über die Realität und es können sich Allmachts- und Kompetenzgefühle einstellen. So dient z.B. der Musikkonsum im Extrem zur »Stimmungsmache«. Die Fahrer lassen sich»vorantreiben« und »aufheizen«.Vor allem beim Motorrad fahren kann es zum so genannten Flow-Erleben kommen. Beim Flow geht man völlig auf in der Tätigkeit. Man ist mit ihr regelrecht verschmolzen. Man fühlt sich zu höheren Leistungen fähig und erlebt ein freudvolles Aktivitätsgefühl. Eine bewusste Steuerung des Geschehens ist nicht mehr möglich. Andere Wahrnehmungen sind ausgeblendet.

Ärger, Wut und Zorn...

Die Strukturmerkmale des Straßenverkehrs - wie hohe Verkehrsdichte, Schnelligkeit der Abläufe, Anonymität und eingeschränkte Kommunikationsmöglichkeiten - sind ein guter Nährboden für die Entstehung heftiger emotionaler Verwicklungen. Vor allem zu nennen sind Ärger, Wut und Zorn. Es handelt sich dabei um Emotionen der Selbstbehauptung. Sie können auftreten, wenn man sich bedrängt und in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt fühlt, wenn man sich in seiner Persönlichkeitssphäre beeinträchtigt oder übervorteilt sieht und wenn man Kränkungen erlebt oder der Stolz bedroht ist. Auch drohende Verluste oder erfahrenes Unrecht können Ausgangsgrößen sein.

Ärger, Wut und Zorn treten im Vorfeld von Aggressionen auf, müssen aber nicht notwendigerweise zu Aggressionen führen. Sie lassen aber den Wunsch nach ausgleichender Gerechtigkeit entstehen. Und sie erzeugen den Impuls, sich zu behaupten, die erlebte Beeinträchtigung aufzuheben und Revanche zu nehmen - sei es auch nur in der Phantasie. Nicht selten wird die Selbstbehauptung durch riskante Fahrmanöver realisiert.

.... können zu gefährlichen Fahrmanövern führen

Obwohl es kaum empirisch gesichertes Wissen über das Ausmaß gibt, in dem Emotionen (mit)ursächlich für das Unfallgeschehen sind, liegt doch auf der Hand, dass emotionale Verwicklungen wie Ärger und Wut der Verkehrssicherheit nicht zuträglich sein können. Sie engen die Wahrnehmung auf die emotionsauslösende Person ein und können zu gefährlichen Fahrmanövern führen.

Ärger auslösende Situationen finden sich oft auf der Autobahn.


Ärger kann hier leicht entstehen, wenn

die Wunschgeschwindigkeit wegen der verkehrlichen Umstände nicht gefahren werden kann,
vorausfahrende Fahrer trotz einer ausreichend großen Lücke nicht auf die rechte Spur wechseln,
drängelnde Fahrer aggressiv von hinten herannahen.


Der entstehende Ärger kann leicht zu riskantem Verhalten führen: Der Hinterherfahrende drängelt aggressiv mit der Lichthupe und durch gefährliches Unterschreiten des Sicherheitsabstandes. Der Bedrängte kann seinerseits mit risikoerhöhenden Gegenmaßnahmen reagieren. In einer Befragung von Ellinghaus gaben 15% der Autofahrer an, kurz auf die Bremse zu tippen, wenn sie bedrängt werden. 11% werden langsamer und 9% meinten, sie blieben länger als nötig auf der linken Fahrspur.

Nehmen Aggressionen am Steuer zu?

Inwieweit Aggressionen im Straßenverkehr in der letzten Zeit häufiger geworden sind, ist aufgrund vorhandener Daten nicht eindeutig zu entscheiden. Zwar nahmen nach Erkenntnissen der Polizei und Medienberichten zufolge aggressive Verhaltensweisen (auf der Autobahn) in den letzten Jahren zu. Vergleichsuntersuchungen kommen aber zu dem Schluss, dass ausgesprochen aggressive und rücksichtslose Verhaltensweisen (nach wie vor) selten sind und dass in den letzten 20 Jahren kein »Verfall der Sitten« feststellbar sei. Ähnlich stellen Maag und Krüger 2003 fest, dass es keine empirischen Befunde gibt, die einen Anstieg aggressiver Verhaltensweisen auf der Straße belegen. Fest aber steht: Ärger und damit einhergehende aggressive Tendenzen und Konflikte gehören zur Realität des Straßenverkehrs und sind ein Sicherheitsproblem. Deshalb müssen sie in der Verkehrssicherheitsarbeit aufgegriffen werden.


Schädlichen Emotionen gegensteuern

Emotionen und Aggressionen, die für die Verkehrssicherheit schädlich sind, kann durch Verkehrsüberwachung und durch folgende sich gegenseitig ergänzende Maßnahmenbereiche entgegengewirkt werden:

Auf die Verkehrsumwelt und -technik gerichtete Maßnahmen

Dazu gehört z.B., »Gelassenheit fördernde« Straßen und Verkehrsregelungen zu schaffen. Viele Konflikte entstehen aufgrund hoher Geschwindigkeitsunterschiede. Den Verkehr durch situationsangepasste Geschwindigkeitsbegrenzungen oder Überholverbote gleichförmiger zu gestalten, kann helfen, Konflikte zu vermeiden. »Selbst erklärende« Straßen können die Belastung des Fahrers verringern und zu mehr Gelassenheit beitragen. Auch intelligente Fahrzeugtechnik - etwa in Form von Fahrer-Assistenz-Systemen zur automatischen Abstandskontrolle - ist in diesem Zusammenhang denkbar.

Auf die Arbeitswelt gerichtete Maßnahmen

Organisations- und arbeitspsychologische Maßnahmen, wie z.B. Mobilitäts-Management-Systeme oder partizipative Sicherheitsarbeit in Fuhrparks, können die Rahmenbedingungen für die berufsbedingte Verkehrsteilnahme günstig beeinflussen. Durch Abbau von Zeitdruck und Belastung kann emotionale Selbstkontrolle im Straßenverkehr erhöht werden. Die Berufsgenossenschaften und der Deutsche Verkehrssicherheitsrat (DVR) bieten Unternehmen hierzu Beratung an, z.B. das Beratungskonzept »Arbeitswelt und Verkehrssicherheit«.

Direkt auf Verkehrsteilnehmer gerichtete Maßnahmen

Hierbei handelt es sich um psychologisch-pädagogische Ansätze. Ihre Ziele bestehen u.a. darin, den Umgang mit belastenden Situationen und den eigenen Emotionen zu verbessern. Die Berufsgenossenschaften und der Deutsche Verkehrssicherheitsrat haben entsprechende Seminarangebote entwickelt:

Gefühlswelten im Straßenverkehr
Stress im Straßenverkehr


Die Seminare richten sich an alle Verkehrsteilnehmer. Besonders angesprochen sind aber Personen, die beruflich oft im Straßenverkehr unterwegs sind, z.B. Berufskraftfahrer und Außendienstmitarbeiter. Das Angebot reicht von Kurzveranstaltungen (90 Minuten) bis hin zu Zwei-Tages-Seminaren mit eingeschobener Praxisphase.

Infos zu den Seminaren: Adelgunde Herzog Fon 0621 4456-3419
e-mail:verkehrssicherheit@bgn.de


LITERATUR
Bliersbach, G. u.a. (2002).
Gefühlswelten im Straßenverkehr. DVR (Hrsg.), Bonn 2002.
Ellinghaus, D. (1986)
Rücksichtslosigkeit und Partnerschaft - eine sozialpsychologische Untersuchung über den Umgang unter Kraftfahrern im Straßenverkehr.
Köln: Ifaplan
Ellinghaus, D. und Steinbrecher, J. (2000)
Verfall der Sitten?
Eine Untersuchung über die Entwicklung der Verkehrsmoral der letzten Jahrzehnte.
Köln: Ifaplan
Maag, Ch. u.a. (2003)
Aggressionen im Straßenverkehr. Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen,
Heft M 151, Bergisch Gladbach, 2003.
Vierboom und Kaast (2001)
Ergebnisbericht des Datenerhebungsprojektes »Kritische Situationen im Blickfeld des Fahrdatenspeichers«,
DVR (Hrsg.), Bonn 2001.

 

Autor: Geiler