Hier greift das Explosionsschutzdokument
Gefährdungsbeurteilung im Explosionsschutz
von Stefan Grund | aus Akzente
Dass in vielen Betrieben der Nahrungsmittelindustrie Explosionsgefährdungen auftreten können, ist seit jeher bekannt. Trotzdem führen Betriebe oftmals keine systematische Beurteilung der Explosionsgefahren durch. Die Betriebssicherheitsverordnung macht nun die Erstellung eines Explosionsschutzdokumentes zur Pflicht. Das stellt viele Betriebe vor nicht unerhebliche Probleme, denn das Thema ist sehr komplex und erfordert besondere Fachkenntnisse. Nachfolgend ein Überblick und Hilfestellungen.
Das Explosionsschutzdokument ist ein Baustein der systematischen Gefährdungsbeurteilung im Explosionsschutz. In ihm müssen die Ergebnisse der Analyse der Explosionsgefahren, deren Bewertung sowie die unter Berücksichtigung der betrieblichen Belange getroffenen technischen, organisatorischen und personellen Maßnahmen festgehalten werden. Aus dem Explosionsschutzdokument muss insbesondere hervorgehen,
- dass die Explosionsgefährdungen ermittelt und bewertet wurden,
- in welchen Bereichen eine explosionsfähige Atmosphäre auftreten kann,
- welche technischen und organisatorischen Schutzmaßnahmen getroffen wurden, um eine Gefährdung zu vermeiden bzw. um auftretenden Gefährdungen zu begegnen,
- nach welchen Kriterien Arbeitsmittel für explosionsgefährdete Bereiche auszuwählen sind und
- wann und durch wen Prüfungen durchzuführen sind.
Die Gefährdungsbeurteilung im Rahmen des Explosionsschutzdokumentes ist nicht als eigenständige Betrachtung, sondern als eine Erweiterung der Gefährdungsbeurteilung nach Arbeitsschutzgesetz bzw. Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV) zu verstehen. Das Explosionsschutzdokument muss für bestehende und neue Anlagen erstellt werden. Hierbei kann auf vorhandene Gefährdungsbeurteilungen und andere gleichwertige Dokumente zurückgegriffen bzw. verwiesen werden. Das Explosionsschutzdokument ist ein lebendes Dokument. Bei Veränderungen der Arbeitsmittel oder des Arbeitsablaufes muss es überarbeitet werden.
Aufbau eines Explosionsschutzdokumentes
Im Folgenden wird der Aufbau eines Explosionsschutzdokumentes1 am Beispiel von Anlagen für staubförmige Produkte gezeigt. Zunächst sind Informationen zu den betrieblichen Gegebenheiten, den produktionstechnischen Abläufen in den Bereichen, in denen mit explosionsfähiger Atmosphäre gerechnet werden muss, sowie zu den dort eingesetzten Stoffen in das Explosionsschutzdokument aufzunehmen:
- Angaben zu Betriebsbereichen, Geltungsbereich etc.
- Verantwortliche Personen für den Betrieb
- Kurzbeschreibung der baulichen und örtlichen Gegebenheiten
- Verfahrensbeschreibung
- Stoffdaten und relevante explosionstechnische Kenngrößen
- Gefährdungsbeurteilung und Zoneneinteilung
- Organisatorische Schutzmaßnahmen
Die Punkte 6 und 7 werden nachfolgend ausführlich behandelt.
1 Infos zu den Inhalten des Explosionsschutzdokumentes: Praxisleitfaden zur Erstellung eines Explosionsschutzdokumentes für Betriebe der Getreideverarbeitung, Getreidelagerung und des Handels. Hier auf www.fsa.de
Gefährdungsbeurteilung und Zoneneinteilung
Das Explosionsschutzdokument muss alle in den relevanten Betriebsbereichen möglichen Explosionsgefährdungen enthalten. Erfasst und dokumentiert werden müssen also auch Gefährdungen bei An- und Abfahrvorgängen, bei betriebsbedingt zu erwartenden Störungen und bei der Instandhaltung. Folgende Fragen sind bei der Gefährdungsbeurteilung2 zu beantworten:
- Sind betriebsmäßig brennbare staubförmige Stoffe vorhanden?
- Kann sich im Inneren oder der Umgebung von Anlagen überhaupt explosionsfähige Atmosphäre bilden?
- Sind die zu erwartenden Mengen explosionsfähiger Atmosphäre aufgrund der örtlichen und betrieblichen Verhältnisse gefahrdrohend?
- Sind Zündquellen vorhanden? Sind diese wirksam, d. h. ist deren Energie ausreichend, um eine Zündung auszulösen?
Kann die Bildung gefährlicher explosionsfähiger Atmosphäre nicht sicher ausgeschlossen werden, müssen Explosionsschutzmaßnahmen festgelegt werden. Hier sind zunächst Maßnahmen zu bevorzugen, die die Bildung gefährlicher explosionsfähiger Atmosphäre verhindern oder einschränken. Erst wenn diese Maßnahmen nicht zu einer befriedigenden Lösung führen, sind Maßnahmen anzuwenden, die die Entzündung gefährlicher explosionsfähiger Atmosphäre verhindern, sowie Maßnahmen des konstruktiven Explosionsschutzes.
- Vermeiden explosionsfähiger Atmosphäre: In der Lebensmittelindustrie ist der Austausch von Produkten gegen nicht brennbare Stoffe selten möglich, sodass dort das Hauptaugenmerk darauf liegt, die Bildung gefährlicher explosionsfähiger Atmosphäre einzuschränken. Eine bewährte Maßnahme zur Vermeidung explosionsfähiger Staub/Luft-Gemische im Inneren von z. B. Silos, Behältern oder Förderwegen ist die gezielte Aspiration der entsprechenden Aggregate. Es muss allerdings darauf geachtet werden, dass sich durch die Aspiration nicht explosionsfähige Gemische über ganze Anlagenbereiche verteilen. Werden Rohstoffe vermahlen, sollte die Korngröße deutlich über 0,5 mm liegen, damit explosionsfähiger Feinstaub nur durch Abrieb infolge mechanischer Beanspruchung entsteht.
In der Umgebung von Apparaturen können brennbare Stäube aus undichten Stellen etc. ausströmen und sich außerhalb der Apparaturen ablagern. Werden diese Ablagerungen aufgewirbelt, dann kann sich gefährliche explosionsfähige Atmosphäre bilden. Das kann im Wesentlichen durch ausreichend dichte Apparaturen vermieden werden. Staubablagerungen in der Umgebung staubführender Apparaturen und Behälter sind regelmäßig zu beseitigen.
- Zoneneinteilung: Ergibt der erste Teil der Gefährdungsbeurteilung, dass mit dem Auftreten von gefährlicher explosionsfähiger Atmosphäre gerechnet werden muss, dann müssen die betroffenen Bereiche in Zonen eingeteilt werden3. Das gilt für das Innere und das Äußere von Anlagen. Welcher Zone die einzelnen Bereiche zugeordnet werden, ergibt sich aus Dauer und Häufigkeit des Auftretens explosionsfähiger Atmosphäre. Für die in Zonen eingeteilten Bereiche sind die Mindestanforderungen nach Anhang 4 der BetrSichV zu erfüllen. Hierzu gehören u. a. die Auswahl geeigneter Arbeitsmittel in Abhängigkeit von der jeweiligen Zone sowie die entsprechenden technischen und organisatorischen Schutzmaßnahmen, die nachfolgend beschrieben werden.
3 Beispiele für die Zoneneinteilung enthält Abschnitt F der BGR 104 "Regeln für das Vermeiden der Gefahren durch explosionsfähige Atmosphäre" oder auch der o. g. Praxisleitfaden.
- Vermeiden wirksamer Zündquellen: Lässt sich die Bildung explosionsfähiger Atmosphäre nicht ausschließen, muss das Auftreten von Zündquellen sicher verhindert werden. Hierzu müssen an den eingesetzten Arbeitsmitteln alle relevanten Zündquellen ermittelt und deren Wirksamkeit unter Berücksichtigung der sicherheitstechnischen Kennzahlen beurteilt werden. Je nach Zündquelle sind verschiedene Maßnahmen zur Vermeidung einsetzbar. Heiße Oberflächen, z. B. durch ein heißlaufendes Lager, können durch eine Temperaturüberwachung detektiert werden. Durch Metallabscheider ist der Eintrag von Fremdkörpern, z. B. im Zulauf von Mühlen oder Fördereinrichtungen, auszuschließen. Um das Verschanzen des Produkts in z. B. Schneckenförderern zu erkennen, sollten diese mit Staumeldern ausgerüstet sein. Elevatoren sind mit Drehzahl- und Schieflaufwächtern auszurüsten.
- Konstruktiver Explosionsschutz: Ist die Vermeidung explosionsfähiger Atmosphäre oder die Vermeidung von Zündquellen nicht durchführbar, nicht sinnvoll oder nicht ausreichend sicher, müssen konstruktive Maßnahmen getroffen werden. Hierdurch wird die Explosion selbst nicht verhindert, deren Auswirkungen aber auf ein ungefährliches Maß beschränkt. Eine häufig eingesetzte Maßnahme ist die Explosionsdruckentlastung, z. B. in Form einer Berstscheibe. Ein zu hoher Druckaufbau im Inneren einer Anlage in Folge einer Explosion und damit ein mögliches Zerbersten wird durch das rechtzeitige Entlasten über definierte Öffnungen verhindert. Seit einigen Jahren gibt es auch Einrichtungen, die eine sichere Entlastung in Räumen ermöglichen.
Eine weitere mögliche Maßnahme ist die Explosionsunterdrückung. Hier wird die Explosion durch z. B. Drucksensoren frühzeitig detektiert und durch das Eindüsen von Löschmittel schon bei ihrer Entstehung gelöscht. Der Vorteil dieses Systems ist, dass Flammen und Verbrennungsprodukte nicht in die Umgebung der Anlage austreten. Nachteil bei Nahrungsmittelanlagen ist, dass durch Fehlauslösungen das Produkt unbrauchbar werden kann. Entkopplungssysteme sind immer dann erforderlich, wenn geschützte Bereiche, in denen mit einer Explosion gerechnet werden muss, von ungeschützten Bereichen zu trennen sind, um eine Übertragung der Explosion zu verhindern. Eine wirksame Entkopplung kann erreicht werden z. B. durch passive Systeme, wie eine flammendurchschlagsichere Zellenradschleuse, oder auch durch aktive Systeme in Form einer Löschmittelsperre zur Trennung von zwei Anlagenbereichen. Hierbei wird die bei der Explosion entstehende Flamme durch das Einblasen eines Löschmittels in einem definierten Zeitfenster abgelöscht.
Organisatorische Schutzmaßnahmen
Für einen wirkungsvollen Explosionsschutz haben aber auch organisatorische Maßnahmen eine herausragende Bedeutung.
- Unterweisung der Beschäftigten: Inhalte dieser Unterweisung sind die möglichen Explosionsgefahren und die im Explosionsschutzdokument festgelegten Schutzmaßnahmen. Beschäftigte, die Instandsetzungs-, Wartungs-, Umbau- oder Reinigungsarbeiten durchführen, müssen hierzu speziell unterwiesen werden.
- Arbeitsfreigaben: Bei Instandsetzungsarbeiten mit Zündgefahren in explosionsgefährdeten Bereichen oder in Bereichen, in denen durch Arbeiten gefährliche explosionsfähige Atmosphäre entstehen kann, sind Schutzmaßnahmen erforderlich. Bei Arbeiten, von denen direkt Zündgefahren ausgehen können, wie z. B. Schweißen oder Schneiden, sind spezielle Erlaubnisverfahren erforderlich.
- Koordination: Bei Arbeiten verschiedener Gewerke ist eine gegenseitige Gefährdung einschließlich des Auftretens explosionsfähiger Atmosphäre zu unterstellen. Unabdingbar ist hier, die Arbeiten gezielt zu koordinieren. Hierzu sind gesonderte Arbeitsanweisungen und Unterweisungen für Fremdfirmen erforderlich. Es ist ein Koordinator einzusetzen.
- Prüfungen: Anlagen in explosionsgefährdeten Bereichen einschließlich Arbeitsumgebung und Maßnahmen zum Schutz Dritter müssen auf ihre Explosionssicherheit überprüft werden: vor der erstmaligen Nutzung, regelmäßig wiederkehrend sowie nach Instandsetzungen. Die Prüfungen müssen dokumentiert werden4.
- Instandhaltung: Die Schutzmaßnahmen, die bei Wartungs- oder Instandsetzungsarbeiten durch eigenes oder Fremdfirmen-Personal erforderlich sind, sind zu dokumentieren. Dies gilt sowohl für den Normal- als auch für den Sonderbetrieb.
- Anhänge: Hierzu gehören z. B. Arbeitsanweisungen, Arbeitsfreigaben, Prüfnachweise, EG-Konformitätserklärungen sowie eine Verweisliste auf mitgeltende Dokumente, wie Reinigungspläne, Brandschutzkonzepte.
4Mit den Prüfungen dürfen nur Personen beauftragt werden, die aufgrund einer entsprechenden beruflichen Ausbildung oder einer vergleichbaren technischen Qualifikation über umfassende Kenntnisse im Explosionsschutz verfügen.
Autor: Grund