Gut gemeinte Hilfe

… aber grundverkehrt. Co-Abhängigkeit im betrieblichen Umfeld.

Ein Mitarbeiter im Betrieb hat ein Alkoholproblem. Kollegen und/oder Vorgesetzte wollen helfen. Aus gut gemeinten Absichten heraus vertuschen und kompensieren sie die alkoholbedingten Fehl- und Minderleistungen. Durch dieses Verhalten aber werden die Helfer zu Suchtunterstützern und so genannten Co-Abhängigen.

von Dr. Elisabeth Lucko | aus Akzente 11

Arbeitsgruppen oder Belegschaften sind soziale Systeme, die von sich aus nach Gleichgewicht und Harmonie streben. Jede Störung, wie ein edv-Ausfall, Zeitdruck, Streit oder auch ein Mitarbeiter mit einem Alkoholproblem, kann diese Systeme aus dem Gleichgewicht bringen. Fast reflexartig versucht dann das Umfeld, das Gleichgewicht wieder herzustellen, z. B. indem man zusätzliche Aufgaben übernimmt. Vorgesetzte, die ihren Mitarbeiter morgens zur Arbeit chauffieren, damit er nicht mit Restalkohol am Straßenverkehr teilnimmt, sind keine Einzelfälle.

Zunächst sind derartige Reaktionen verständlich. Auf Dauer aber sind sie kontraproduktiv, ja schädlich. Denn: Die verstärkten Anstrengungen der Kollegen und Vorgesetzten schützen den Betroffenen davor, die Wirkung seines Alkohol- oder Drogenkonsums und die damit verbundenen Konsequenzen zu erfahren. Außerdem nehmen sie ihm seine Eigenverantwortlichkeit ab.

Unter Co-Abhängigkeit versteht man somit nicht, dass Kollegen und/oder Vorgesetzte durch synchrones Mittrinken auch zu Alkoholikern werden. Co-Abhängigkeit bedeutet: Durch gut gemeintes Verstehen, Vertuschen und Wegschauen wird man selbst zum Suchtunterstützer – und nicht zum Helfer für den Betroffenen. Wie die Suchterkrankung selbst, entwickelt sich auch die Co-Abhängigkeit im sozialen Umfeld nicht schlagartig von einem Tag auf den anderen, sondern schleichend. Im Allgemeinen gibt es dabei unterschiedliche Verhaltensmuster und Phasen.

Die Phasen der Co-Abhängigkeit

⇒Beschützer- und Erklärungsphase:
Wer keine Erfahrung im Umgang mit Suchtkranken hat, wird automatisch zunächst versuchen, Erklärungen und Entschuldigungen für das Verhalten des Kollegen oder Mitarbeiters zu finden (Stress, Ehekrise, Schulden usw.). Man sieht ja, dass es dem Kollegen nicht gut geht. So will man ihn nicht noch zusätzlich belasten, indem man ihm ein Suchtproblem »unterstellt«. Außerdem »funktioniert« der Betroffene in der Regel ja noch.

Suchtkranke Mitarbeiter sind häufig extrem gewissenhaft. Sie setzen sich selbst teilweise stark unter Druck, um bloß nicht aufzufallen und gute Arbeitsergebnisse abzuliefern. Oft resultiert übergroße Toleranz aus der Furcht vor langen Ausfallzeiten durch eine Therapie.

⇒Kontrollphase:
Mit steigendem Alkoholkonsum wird jedoch die Leistungsfähigkeit des suchtkranken Mitarbeiters nachlassen und damit einhergehend die Geduld und das Verständnis der Kollegen. Die bisherigen »Beschützer« fangen an, den Suchtkranken zu kontrollieren. Sie machen ihm Vorhaltungen und lassen sich auf Versprechungen ein, die sie nicht einhalten. Ein Teufelskreis beginnt, der sich über viele Jahre hinziehen kann.

⇒Anklagephase:
Enttäuschung und Ärger machen sich immer mehr breit. Man zieht sich vom Suchtkranken zurück. Man spürt die eigene Hilflosigkeit und projiziert den damit aufkommenden Unmut immer mehr auf den Betroffenen. In dieser Phase wird oft die Personalabteilung eingeschaltet. Die Kollegen sind häufig nicht mehr bereit, mit »diesem Menschen« zusammenzuarbeiten.

Die Folgen von Co-Abhängigkeit
Diese typischen Verhaltensmuster des sozialen Umfelds bleiben nicht folgenlos. Die typischen Verhaltensmuster des sozialen Umfelds führen zu:

Besonders schwierig ist diese Problematik immer wieder auch für Betriebsräte, die sich in ihrer Rolle als »Beschützer« der Beschäftigten sehen. Das konsequente, aber sinnvolle Vorgehen eines Vorgesetzten empfinden sie bisweilen als unzumutbare Härte.

IST IHR KOLLEGE ALKOHOLGEFÄHRDET?

Machen Sie sich Gedanken über das Trinkverhalten Ihres Kollegen?
JA
NEIN
Waren Sie insgeheim schon einmal darüber erschrocken, wie viel Ihr Kollege trinkt?
 
Sind Betriebsfeste ein Albtraum für Sie, weil dann meistens eine mehr oder minder wilde Trinkerei stattfindet?
 
Sind die meisten Freunde Ihres Kollegen trinkfest?
 
Hat Ihr Kollege schon öfter erfolglos versprochen, mit der Trinkerei aufzuhören?
 
Beeinflusst das Trinkverhalten Ihres Kollegen die Arbeitsatmosphäre?
 
Hat Ihr Kollege schon öfter erfolglos versprochen, mit der Trinkerei aufzuhören?Streitet Ihr Kollege ab, Schwierigkeiten wegen der Trinkerei zu haben, weil er/sie ja nur zwei kleine Bierchen oder Schöppchen Wein trinkt?
 
Benutzen Sie manchmal »faule« Ausreden gegenüber dem Arbeitgeber, um das Trinken Ihres Kollegen zu verbergen?
 
Kommt es schon mal vor, dass Ihr Kollege sich nicht mehr daran erinnern kann, was während einer Trinkphase tatsächlich passiert ist (Filmriss, Blackout)?
 
Vermeidet Ihr Kollege mit viel Geschick Gespräche über Alkohol und Schwierigkeiten, die durch die Trinkerei entstehen?
 
Versucht Ihr Kollege bestimmte Personen oder Ereignisse für die Trinkerei verantwortlich zu machen, um sich so zu rechtfertigen?
 
Drückt sich Ihr Kollege vor Festlichkeiten, bei denen kein Alkohol ausgeschenkt wird?
 
Fühlen Sie sich manchmal schuldig, weil Ihr Kollege trinkt?
 
Gibt es im Betrieb Beschäftigte, die Angst vor Ihrem Kollegen haben?
 
Ist Ihr Kollege schon in alkoholisiertem Zustand Auto gefahren?
 
Müssen Sie damit rechnen, dass Ihr Kollege im angetrunkenen Zustand ausfallend oder gar aggressiv gegen Sie wird?
 
Sind Sie schon einmal von anderen angesprochen worden, weil Ihr Kollege außergewöhnlich viel trinkt?
 
Haben Sie Angst, mit Ihrem Kollegen irgendwo hinzugehen, weil er sich betrinkt?
 
Gibt es Zeiten, zu denen Ihr Kollege dieses Verhalten bitter bereut und erfolglos schwört, sich zu ändern?
 
Verträgt Ihr Kollege in letzter Zeit weniger Alkohol als früher?
 
Wenn Sie nur 2 dieser Fragen mit »Ja« beantworten, ist Ihr Kollege alkoholgefährdet. Bei 5 und mehr Antworten mit »Ja« müssen Sie davon ausgehen, dass Ihr Kollege alkoholkrank ist.
(Fragebogen aus »Das Suchtbuch für die Arbeitswelt«, IG Metall Schriftenreihe 126)
HIER BEKOMMT DER UNTERNEHMER UNTERSTÜTZUNG:
Beratungsstellen:www.bgn.de, Shortlink = 1145
Unterweisungs-Kurzgespräch »Alkohol« 
Individuelle Beratung: BGN-Prävention, Fon 089 89466-5820

Richtig helfen
Völlig unstrittig aber ist: Menschen mit Suchtproblemen haben nur dann eine Chance auf Verhaltensänderung, wenn der Vorgesetzte

Um einem suchtkranken Kollegen wirklich zu helfen, brauchen Vorgesetzte, Betriebsräte und Kollegen fachlichen Rat und Unterstützung.

 

Autor: Lucko