von Jörg Bergmann
Ein starkes Motiv, Dinge zu tun, ist, wenn sie einem viel nutzen. Umgekehrt tut niemand gern Dinge, nur weil sie irgendwo vorgeschrieben sind. Das trifft sicherlich auch bei der Gefährdungsbeurteilung zu. Und das Gute an der Gefährdungsbeurteilung ist: Sie kann dem Betrieb sehr viel nutzen. Richtig ein- und umgesetzt lassen sich mit diesem zentralen Präventionsinstrument des betrieblichen Arbeitsschutzes vorausschauend optimale, d. h. sichere, gesunde und wirtschaftliche Arbeitsprozesse gestalten. Denn die Gefährdungsbeurteilung ermöglicht eine systematische und vollständige Übersicht über die Gefährdungen an den Arbeitsplätzen und sie zeigt, was im Arbeitsschutz (noch) alles zu tun ist bzw. weiter optimiert werden kann.
Eine gute Gefährdungsbeurteilung kann aber noch mehr: Sie gibt den betrieblichen Vorgesetzten eine optimale Unterweisungshilfe in die Hand. Sie enthält nämlich eine arbeitsplatzbezogene Zusammenschau der vorkommenden Gefährdungen und Maßnahmen. Außerdem liefert sie dem Betrieb eine Übersicht über die durchzuführenden Prüfungen, die erforderlichen Vorsorgeuntersuchungen, die benötigte Persönliche Schutzausrüstung. Letztlich bekommt er nicht mehr und nicht weniger als ein handliches Werkzeug zum zentralen Gefährdungsmanagement. Also Nutzen pur.
Erfolgsfaktor Beteiligung
Eine Beurteilung, die von einem Einzelkämpfer im stillen Kämmerlein erstellt wird, kann nicht erfolgreich sein. So
hoch
auch das Expertenwissen des Einzelkämpfers – meist ist es die Sicherheitsfachkraft – sein mag, ohne Beteiligung der
Führungskräfte und der Beschäftigten entsteht keine Akzeptanz. Also müssen diejenigen, deren Arbeitsplätze beurteilt
werden sollen, auch in geeigneter Form mitwirken.
ERFOLGSFAKTOREN |
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der Gefährdungsbeurteilung auf einen Blick |
Beteiligung: Führungskräfte und Beschäftigte in die Gefährdungsbeurteilung einbinden Wahrhaftigkeit: tatsächliche betriebliche Gegebenheiten präzise erfassen und beschreiben Handhabbarkeit: Umfang nicht zu knapp, aber vor allem auch nicht zu ausführlich Lebendigkeit: bei Veränderungen an den Arbeitsplätzen Beurteilung überprüfen und gegebenenfalls anpassen Zweckmäßige Dokumentation: Gefährdungen, Schutzmaßnahmen und deren Überprüfung bzw. Umsetzung eindeutig, nachvollziehbar und transparent dokumentieren Prozessorientierung: Arbeitsschutz als Teil der betrieblichen Organisation und integriert in die betrieblichen Arbeits- bzw. Produktionsprozesse betrachten |
Ein wesentlicher Vorteil der Beteiligung: Die Auseinandersetzung mit den eigenen Risiken erhöht die Sensibilität für Sicherheit und Gesundheitsschutz. Und die Beschäftigten tragen Maßnahmen eher mit, wenn sie sie selbst mit festgelegt haben und nicht von oben verordnet bekommen.
Erfolgsfaktor Wahrhaftigkeit
Es mag trivial klingen und doch ist es nicht immer selbstverständlich: Die Gefährdungsbeurteilung muss die
Wirklichkeit abbilden und nicht eine bloße (Wunsch-)Vorstellung der betrieblichen Situation. Manche Beurteilungen
werden diesem Anspruch nicht gerecht. Sie beschreiben Arbeitsplätze, Tätigkeiten und Gefährdungen unvollständig,
fehlerhaft, stark vereinfacht. Folglich sind auch die abgeleiteten Schutzmaßnahmen unvollständig, fehlerhaft,
unzutreffend. Darunter leiden dann die Brauchbarkeit der Beurteilung und natürlich die Akzeptanz.
Die Beschäftigten, deren Arbeitsplatz beurteilt wird, sollten bei der Gefährdungsbeurteilung mitwirken. Das erhöht ihre Sensibilität für Sicherheit und Gesundheitsschutz und sie tragen festgelegte Maßnahmen eher mit.
Erfolgsfaktor Handhabbarkeit
Der Umfang der Gefährdungsbeurteilung muss angemessen sein. Sie darf nicht zu knapp, aber vor allem auch nicht zu
ausführlich sein. Viele Seiten bedrucktes Papier, angereichert mit Tabellen, Risikoampeln, Listen mit geltenden
Vorschriften etc. verschleiern den Blick auf die Ergebnisse der Gefährdungsbeurteilung. Der Anwender muss die
wichtigen Informationen zügig erfassen und verstehen können.
Erfolgsfaktor Lebendigkeit
Lebendigkeit heißt: Die Beurteilungsergebnisse werden kommuniziert, die abgeleiteten Maßnahmen werden erkennbar
umgesetzt, die Beurteilung ist für die Betroffenen verfügbar. Lebendigkeit heißt auch: Wenn sich Veränderungen an
den Arbeitsplätzen ergeben, wird die Beurteilung überprüft und falls nötig angepasst. Auch bei Unfällen,
Beinaheunfällen und Sachschäden wird die Gefährdungsbeurteilung kritisch geprüft: Gibt es Hinweise darauf, dass die
Gefährdungssituation für bestimmte Tätigkeiten unzutreffend bewertet wurde, dann muss sie ergänzt oder geändert
werden.
Praxisfehler Mängelliste statt Gefährdungsbeurteilung
Ein in der Praxis weit verbreiteter Fehler ist, die
Gefährdungsbeurteilung mit der Suche nach Mängeln zu verwechseln. Dann füllen sich die Seiten der Dokumentation mit
»defekten Leitern«, »fehlenden Handläufen«, »überbrückten Schutzeinrichtungen« oder »verschmutzten Fußböden«. Diese
Art der Zeitpunkt-Betrachtung muss routinemäßig im Arbeitsalltag stattfinden. Stellen Mitarbeiter, Vorgesetzte oder
Sicherheitspersonen solche Mängel fest, dann müssen sie natürlich ohne Wenn und Aber abgestellt werden. Hierzu kann
man eine »To-do-Liste« anlegen und fortschreiben. Ist der Mangel behoben, wird er in der Liste gestrichen.
Die Gefährdungsbeurteilung aber will etwas anderes: Ihr Ziel ist es, über eine Zeitraum-Betrachtung die typischen Risiken und Schwachstellen der im Betrieb vorhandenen Arbeitsplätze zu identifizieren und systematisch die verbleibenden Restrisiken zu verringern.
Praxisfehler Maschinen statt Arbeitsplätze
Ein typischer Fehler bei der Gefährdungsbeurteilung ist auch, die Funktionssicherheit der Maschinen (
Herstelleraufgabe) anstatt die dort vorhandenen Arbeitsplätze zu analysieren. Der Beurteiler sucht dann nach dem ce-
Zeichen, misst die Höhe der Schutzzäune nach oder überprüft die Erdung der Steuerstromkreise.
Überall dort, wo im Betrieb mit Maschinen gearbeitet wird, lautet die für die Gefährdungsbeurteilung relevante Frage: Welche Gefährdungen gibt es für die Bediener? Besteht z. B. eine Gefährdung durch Lärm? Gibt es Gefährdungen bei der Störungsbeseitigung? Muss auf die Maschine aufgestiegen werden, so dass gegebenenfalls eine Absturzgefahr besteht? Usw.
Erfolgsfaktor zweckmäßige Dokumentation
Die Dokumentation der Gefährdungsbeurteilung hat dann einen echten Nutzen, wenn sie nachvollziehbar und transparent
ist. Hier gilt die Grundregel: So einfach wie möglich, aber nicht noch einfacher. Achten Sie darauf, dass die
Angaben in der Dokumentation eine eindeutige Lokalisierung und Zuordnung zu Betriebszuständen und Arbeitsvorgängen
ermöglichen.
Die mancherorts anzutreffende unspezifische Ankreuzliste genügt diesen Anforderungen nicht. Dort wird z. B. nur festgestellt, dass es eine »Gefährdung durch bewegte Transportmittel« gibt. Nicht präzisiert aber wird, welche Transportmittel wann, wo und unter welchen Bedingungen zu einer Gefährdung führen. Selbst die Ersteller der Gefährdungsbeurteilung wissen nach einiger Zeit nicht mehr genau, was mit dem Kreuz in der Liste eigentlich gemeint war. Erst recht nicht wissen es die übrigen Angehörigen des Betriebs oder die Vertreter von Behörden und Aufsichtsdiensten.
Eine zweckmäßige Dokumentation beschreibt knapp, aber präzise und verständlich die Gefährdungen, die Schutzmaßnahmen und deren Überprüfung bzw. Umsetzung. Im Übrigen verweist sie an den jeweiligen Stellen auf Referenzdokumente, z. B. auf Verzeichnisse, Checklisten, Kataster, Betriebsanweisungen oder Prüfpläne. Auch sind Verweise auf die detaillierte Beurteilung einzelner Gefährdungsfaktoren (Lastenhandhabung, Tätigkeiten mit Gefahrstoffen, Lärmminderungsprogramm, Explosionsschutzdokument usw.) sinnvoll, damit die Dokumentation nicht überfrachtet wird und schlank bleibt.
Erfolgsfaktor Prozessorientierung
Besonders effektiv und effizient ist eine Gefährdungsbeurteilung, die sich an den betrieblichen Arbeits- bzw.
Produktionsprozessen orientiert. Anstatt sich statisch an einer Liste von Gefährdungsfaktoren entlangzu- hangeln,
werden zunächst die Arbeitsabläufe beschrieben und in Teilschritte zerlegt.
Dann werden für jeden Teilschritt die relevanten Gefährdungen identifiziert und Schutzmaßnahmen festgelegt. Die auf diese Weise entstehende Dokumentation ist wirklich die ideale Unterweisungshilfe für den jeweiligen Bereichsvorgesetzten. Eine prozessorientierte Gefährdungsbeurteilung ermöglicht zudem, weitere Aspekte wie Qualität, Umweltschutz und Hygiene zu integrieren. Damit kommt man dem Ziel, dass Arbeitsschutz ein selbstverständlicher Bestandteil des betrieblichen Handelns ist, einen großen Schritt näher.
PRAXISHILFEN IM ÜBERBLICK |
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Handlungsanleitung Betriebliche Gefährdungsbeurteilung (ASI 10.0). Mit diesem »Kochbuch« kann sich der Betrieb Schritt für Schritt die eigene Beurteilung »zubereiten«. Auf der BGN- DVD enthalten oder Download über: www.bgn.de, Shortlink = 531 Interaktive Praxishilfen auf der BGN-DVD im jeweiligen Branchen-Portal im Bereich »Organisation des Arbeitsschutzes«, dort
Stichwort »Gefährdungsbeurteilung«:
Hilfen im Internet Dieses Internetportal bietet eine Fülle von Informationen und die zurzeit verfügbaren Handlungsanleitungen an. Es wurde von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) in enger Abstimmung mit den Trägern der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie (GDA) entwickelt. Beratung durch unsere Fachleute
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Mit gesundem Sachverstand zum Erfolg
Die bgn unterstützt die Betriebe mit Praxishilfen zur Gefährdungsbeurteilung und gegebenenfalls mit Beratung. Trotz
aller nützlichen und hilfreichen Unterlagen darf das wichtigste Werkzeug der Gefährdungsbeurteilung niemals
abhandenkommen: der gesunde Sachverstand der Beurteiler. Mit diesem Sachverstand trennt man Wichtiges von
Unwichtigem, kann Risiken sachgerecht einschätzen und solche Maßnahmen finden, die wirksam, umsetzbar und akzeptiert
sind. Und dann steht der »Erfolgsstory Gefährdungsbeurteilung« eigentlich nichts mehr im Weg.