Dürfen Epileptiker Stapler fahren?
Epilepsie im Arbeitsleben — nicht immer ein Problem
Rund eine halbe Million Menschen in Deutschland ist an Epilepsie erkrankt. Viele von ihnen sind im berufstätigen Alter, viele sind im Arbeitsleben etabliert. Dennoch sind Arbeitgeber aus Unwissenheit häufig unsicher gegenüber der Erkrankung und haben Vorbehalte bei einer Einstellung. Eine BG-Information hilft, die beruflichen Möglichkeiten von Menschen mit Epilepsie zu beurteilen.
von Dirk Pauers | Akzente 04/13
Darf ein Beschäftigter, der an Epilepsie leidet, einen Gabelstapler fahren? Diese häufig gestellte Frage lässt sich auch auf das Bedienen von Maschinen erweitern. Eine wichtige Hilfe, diese und weitere Fragen im Zusammenhang mit der Eignung von Menschen mit Epilepsie für bestimmte Arbeitsplätze oder Tätigkeiten zu beantworten, ist die BG-Information „Empfehlungen zur Beurteilung beruflicher Möglichkeiten von Personen mit Epilepsie“ (DGUV Information 250-001, bisher BGI 585).
Sie gibt einen Überblick über Gefährdungen und über berufliche Möglichkeiten epilepsiekranker Arbeitnehmer. Und die sind größer, als mancher denkt. Denn „krank“ sind Epileptiker nur durch die Symptome, die während eines akuten Anfalls auftreten. Der Großteil von ihnen hat das Leiden unter Kontrolle und kann zuverlässig anfallsfrei leben und arbeiten.
[ Dipl.-Chem. DIRK PAUERS ist Mitarbeiter der BGN-Prävention und betreut als Aufsichtsperson Mitgliedsunternehmen. ]
Differenziert und individuell beurteilen
Eine Epilepsie schränkt die beruflichen Möglichkeiten nur dann ein, wenn die Anfälle eine Selbst-
oder Fremdgefährdung mit sich bringen. Ob das der
Fall ist, lässt sich im Rahmen einer differenzierten
und individuellen Gefährdungsbeurteilung feststellen und bewerten. In die Gefährdungsbeurteilung sollten der Unternehmer/Vorgesetzte, Betriebsarzt, die Fachkraft für Arbeitssicherheit, ein Mitarbeiter der bgn-Prävention und der behandelnde
Neurologe eingebunden werden.
[ Eine Tabelle in der DGUV Information 250-001 enthält die möglichen Einsatzbereiche von Staplerfahrern in Abhängigkeit zu der Gefährdungskategorie des Epileptikers. ]
Die DGUV Information 250-001 nennt die Faktoren, die zu beurteilen sind: Schwere der Epilepsie, 5 Gefährdungskategorien, zeitliche Bindung der Anfälle, bestimmte Anfallsauslöser und Anfallsfrequenz. Für den Gabelstaplerfahrer bedeutet das konkret: Neben den persönlichen Voraussetzungen des Epileptikers muss das Gefährdungspotenzial der Fahrtätigkeit ermittelt und bewertet werden. Eine relativ geringe Gefährdung liegt dann vor, wenn sowohl das Transportgut als auch die örtlichen Gegebenheiten als ungefährlich anzusehen sind. Die DGUV Information 250-001 nennt das Beispiel eines einzelnen Staplerfahrers, der in einer Gärtnerei Torfsäcke transportiert.
Dagegen sind als Tätigkeiten mit hohem Gefährdungspotenzial insbesondere das Be- und Entladen eines Hochregallagers, das Handling von Gefahrstoffen und auch Fahrtätigkeiten bei hohem Verkehrsaufkommen anzusehen. Hier können die gesundheitlichen Anforderungen sogar höher zu bewerten sein als für das Lenken eines solchen Geräts im öffentlichen Straßenverkehr.
Generell gilt: Das Risiko eines Anfalls muss minimal sein, wenn die möglichen aus einem Anfall resultierenden Schäden hoch sind — insbesondere wenn eine Fremdgefährdung zu befürchten ist. Ein weiterer Anhaltspunkt zur Beurteilung des hinzunehmenden Risikos ist die Regel: Die Eigengefährdung bei der Arbeit ist nicht größer als im üblichen sozialen Leben.
Die eingangs gestellte Frage, ob ein Epileptiker Stapler fahren darf, lässt sich demnach nicht einfach mit Ja oder Nein beantworten. Jeder Einzelfall muss unter Berücksichtigung der Gefährdungskategorie und der Umgebungsbedingungen betrachtet werden. Aufschluss gibt eine Tabelle in der DGUV Information 250-001.
EPILEPSIE |
Bei einem epileptischen Anfall kommt es zu einer vorübergehenden Fehlfunktion von Teilen oder des ganzen Gehirns. Die Anfälle werden durch plötzliche Aktivitätssteigerungen des zentralen Nervensystems ausgelöst. Sie sind in ihrem Ablauf und ihren Auswirkungen unterschiedlich, aber in der Regel sehr kurz: Nach wenigen Minuten ist meist alles vorbei. Epilepsie ist eine der häufigsten chronisch verlaufenden Erkrankungen des Gehirns. Etwa 5 Prozent aller Menschen bekommen im Laufe ihres Lebens einmal einen epileptischen Anfall. Ansprechpartner und Infos Außerdem finden Arbeitnehmer und Arbeitgeber viele
wertvolle Informationen |
Eine Epileptikerin im Backbetrieb
In einem Backbetrieb arbeitet eine Auszubildende
mit Epilepsie. Vor Ausbildungsbeginn hat der Unternehmer mit der Fachkraft für Arbeitssicherheit,
dem Betriebsarzt und dem behandelnden Neurologen eine risikoorientierte Bewertung durchgeführt,
ob die Auszubildende die Arbeit als Konditorin ohne Selbst- oder Fremdgefährdung durchführen
kann. Man kam zu dem Ergebnis: Es geht, wenn
bestimmte Präventionsmaßnahmen eingehalten
werden.
Die Auszubildende hat eine sehr frühzeitige und zuverlässige Eigenwahrnehmung (Aura) und merkt, wenn ein Anfall bevorsteht. Dann informiert sie ihre Kollegen, die dann die festgelegten Maßnahmen einleiten. Da die junge Frau während des Anfalls bewusstlos ist und Sturzgefährdung besteht, legt sie sich rechtzeitig auf eine Matte. Ihre Kollegen betreuen sie so lange, bis der Anfall vorbei ist. Ihre Anfälle werden durch Stress ausgelöst. Deshalb erledigt die angehende Konditorin hauptsächlich Routineaufgaben. So ist es gelungen, die Anfallshäufigkeit während der Arbeit deutlich zu reduzieren.
Die junge Konditorin und die dargestellten Möglichkeiten, Menschen mit Epilepsie unter bestimmten Bedingungen durchaus als Gabelstaplerfahrer einzusetzen, zeigen, wie wichtig es ist, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Jeder Mitarbeiter mit Epilepsie, der einen geeigneten Arbeitsplatz findet, bedeutet einen wichtigen Schritt auf dem Weg zu einer inklusiven Gesellschaft.