Riskante Nebenbeschäftigungen

Telefonieren, Hantieren & Co. während des Autofahrens

Autofahrer beschäftigen sich während des Fahrens oft auch noch mit Essen, Trinken, Telefonieren, Navi oder MP3-Player bedienen, Simsen, Schminken, Rasieren, Herumkramen etc. Diese fahrfremden Nebenbeschäftigungen stellen für die Verkehrssicherheit ein großes Problem dar — vor allem, wenn sie komplex sind.

von Dr. Michael Geiler | Akzente 04/13

[ Dr. Michael Geiler ist Dipl.-Psychologe und in der BGN-Prävention im Bereich Verkehrssicherheit tätig. ]

Die Aufmerksamkeit wird von der Straße abgezogen, der Blick verlagert sich ins Fahrzeuginnere, Fahren wird zur Nebensache: Wer beim Autofahren noch andere Dinge tut, ist motorisch, visuell, kognitiv und gegebenenfalls auch akustisch abgelenkt. Bei der eigentlichen Sache, nämlich dem sicheren Führen eines Fahrzeugs, ist er nicht mehr. Hinzu kommt: Durch Unterhaltungselektronik oder Telefonieren können sich Stimmungen und Gefühlslagen entwickeln, die sich nachteilig auf das Verhalten im Verkehr auswirken.

Telefonieren so riskant wie fahren unter Alkohol
Besonders problematisch ist Telefonieren, wie Forschungsarbeiten weltweit immer wieder herausstellen. Wer telefoniert, hat längere Reaktionszeiten und hält die Fahrspur schlechter als jemand, der sich auf das Fahren konzentriert. Beim telefonierenden Fahrer sinkt die Fähigkeit, die wichtigen Elemente einer Verkehrssituation zu identifizieren, sie zu einem Gesamtbild zusammenzusetzen und die Weiterentwicklung der Situation zu erkennen. Mehreren Studien zufolge erhöht Telefonieren beim Fahren das Unfallrisiko um das Drei- bis Vierfache. (Es gibt einige Studien, die belegen, dass das reine Telefonieren nicht zu einem erhöhten Unfallrisiko führt, sehr wohl aber das Bedienen des Handys und natürlich das Texten. Allerdings verändern Telefonierer ihr Fahrverhalten.)

[ Was das Unfallrisiko angeht, so ist Telefonieren beim Fahren vergleichbar mit Fahren unter Alkoholeinfluss. ]

Viele Untersuchungen zeigen auch, dass das Telefonieren mit einer Freisprechanlage nicht sicherer ist als das Telefonieren mit dem Handy am Ohr. Denn Telefonieren ist in erster Linie eine kognitive und weniger eine motorische Angelegenheit. Radiohören kann man mental ausblenden, ein Telefongespräch nicht. Der Gesprächspartner am anderen Ende nimmt keine Rücksicht auf die momentane Verkehrssituation und spricht unbeeindruckt drauflos. Vor allem bei Telefongesprächen, die emotional belasten oder komplexe Inhalte haben, ist der Fahrer mit seiner Aufmerksamkeit nicht mehr ausreichend beim Verkehrsgeschehen. Was das Unfallrisiko angeht, so ist Telefonieren beim Fahren vergleichbar mit Fahren unter Alkoholeinfluss.

Ablenkung am Steuer — ein Thema im Betrieb
Ablenkung durch Nebenbeschäftigungen am Steuer kann für Außendienst- und Fuhrparkmitarbeiter zum Sicherheitsproblem werden. Daher sollte das Thema „Fahren im betrieblichen Auftrag“ Teil der betrieblichen Sicherheitskultur sein. Kein Mitarbeiter sollte unter ablenkenden Bedingungen fahren müssen. Hierbei hilft eine gute Organisation: Alle betrieblichen Gespräche und Abstimmungen werden vor Fahrtbeginn erledigt. Eingehende Anrufe während der Fahrt werden via Rufumleitung von der Zentrale oder dem Anrufbeantworter, der erklärt, warum der Fahrer den Anruf jetzt nicht entgegennehmen kann, entgegengenommen.

Unternehmen mit einem solchen Sicherheitsmanagement berichten, dass sich die Außendienstmitarbeiter beim Fahren weniger gestresst fühlen. Außerdem gaben die Fahrer an, kompetenter am Telefon agieren zu können, wenn sie nicht gleichzeitig fahren müssen.

[ „Ablenkung beim Fahren“ ist auch Thema der Schwerpunktaktion 2013. (Zusammenfassende Informationen finden sich sehr aktuell in Band 20 der DVR-Schriftenreihe: Silent Killer - Wie kann die Unfallgefahr "Ablenkung im Straßenverkehr") Schwerpunktaktion von Berufsgenossenschaften, Unfallkassen und Deutschem Verkehrssicherheitsrat.
www.abgelenkt.info ]

Hilfreich ist auch eine schriftlich fixierte betriebliche Regelung in Form einer Betriebsvereinbarung. Darin ist z. B. festgelegt:

Wie bei allen Maßnahmen zum sicheren und gesundheitsbewussten Arbeiten ist auch bei den betrieblichen Regelungen gegen Ablenkung am Steuer die Vorbildfunktion des Vorgesetzten gefragt. Außerdem ist es seine Aufgabe, diese Sicherheitspolitik betriebsintern und extern zu kommunizieren.

INTERNATIONALE STUDIEN
Ergebnisse von Beobachtungs- und Befragungsstudien

Ablenkung durch fahrfremde Tätigkeiten ist an 20 bis 30 Prozent der Unfälle beteiligt.

Einer amerikanischen Studie zufolge ist SMS schreiben und lesen besonders sicherheitskritisch. Bei Lkw-Fahrern in den USA wurde ein 23-fach erhöhtes Unfallrisiko ermittelt.

In den Niederlanden wurde festgestellt, dass Ablenkung durch elektronische Geräte auch für Fußgänger und Radfahrer gefährlich ist. Bei telefonierenden Radfahrern stieg das Unfallrisiko um das 1,4-fache. Fußgänger verhielten sich bei Fahrbahnüberquerungen riskanter, wenn sie telefonierten.

Eine Auswertung von Krankenhausdaten von 2004 bis 2010 in den USA belegt, dass die Zahl der Fußgänger die aufgrund des Mobiltelefongebrauchs verunglückten, deutlich angestiegen ist. Besonders häufig verunglücken unter 31-Jährige.

Autor: Dr. Michael Geiler