Kletter-Kommando

Störungsbeseitigung im Hochregallager

Ein Kletterer

Hochregallager sind für Waren, nicht für Menschen gebaut. Dennoch müssen Menschen hin und wieder in die hochgelegenen Regalfächer und Kanäle hinein, um Störungen zu beseitigen. Dann besteht jedes Mal erhöhte Unfallgefahr – vor allem durch Absturz, aber auch durch Kollisionen mit dem Regalbediengerät. Für diese besonderen Arbeiten braucht man besondere Schutzmaßnahmen.

von Markus Husemann

S törung im Hochregallager: Eine defekte Palette, die von der Paletten- oder Konturenkontrolle nicht ausgeschleust wurde, hat den Betrieb stillgesetzt. Das kommt häufig vor. Manchmal ist es ein abstehendes Brett oder ein verdrehter Klotz, mal ist es verrutschte oder zusammengesackte Ladung, die hängenbleibt oder umstürzt, und mal nur ein kleiner Fetzen flatternder Folie, die eine Störung verursachen. Jede Störung im Hochregallager bedeutet Stillstand und wirtschaftliche Einbußen.

[ Dipl.-Ing. Markus Husemann betreut als Aufsichtsperson Mitgliedsbetriebe und ist stellvertretender Leiter des Fachgebiets Verpackung im DGUV-Fachbereich Nahrungsmittel. ]

Die Betriebsbereitschaft des Lagers schnellstmöglich wiederherzustellen ist Aufgabe speziell ausgewählter und unterwiesener Mitarbeiter. Meistens müssen sie dazu in das Lager einsteigen und die Störungsursache von Hand beseitigen. Oft bedeutet das ein Arbeiten in großer Höhe und zusätzlich in tiefgekühlter und/oder sauerstoffreduzierter Atmosphäre. Die jeweiligen betrieblichen Bedingungen und Gefährdungssituationen muss ein Betrieb im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung genau untersuchen und dann entsprechende Schutzmaßnahmen auswählen und umsetzen.

Technische Sicherheit mit dem Schlüsseltransfersystem

Automatische Hochregallager dürfen nur betreten werden, wenn der Automatikbetrieb sicher abgeschaltet wurde. Deshalb sind sie üblicherweise mit einem Schlüsseltransfersystem versehen. Das bedeutet: Die Zugangstür lässt sich nur mit demjenigen Schlüssel öffnen, der zum Automatikbetrieb im Schaltschrank eingesteckt sein muss. Nur wenn der Automatikbetrieb abgeschaltet wurde, lässt sich dieser Steuerungsschlüssel abziehen, mitnehmen und zum Öffnen der Zugangstür verwenden. Der Steuerungsschlüssel wird auch gebraucht, um das Regalbediengerät (RBG) an dessen Bedienstand im manuellen Betrieb bewegen zu können.

Zusätzlich muss an jeder Zugangstür ein Positionsschalter angebracht sein, der beim Öffnen der Tür alle Maschinen im zugänglichen Lagerbereich abschaltet.

Vermeintliche Zeitersparnis ist oft einer der Gründe, warum die Sicherheitseinrichtungen ausgetrickst werden und ohne vorheriges Abschalten des Automatikbetriebs in die Regalanlage eingestiegen wird. Schwere und tödliche Unfälle durch Kollisionen mit einem plötzlich und unverhofft anfahrenden RBG sind dann vorprogrammiert.

WEITERFÜHRENDE INFOS

 

[ Das Verbindungs­mittel des Auffang­gurts muss zwei­strangig ausgeführt sein. So wird beim Fortbewegen in der Höhe sichergestellt, dass man jeweils an einem Anschlag­punkt gesichert ist, während man den anderen Strang an einem neuen Anschlagpunkt befestigt.

Vielschichtige Absturzsicherung notwendig

Für Aufstieg, Aufenthalt und Fortbewegung in der Höhe ist eine vielschichtige Absturzsicherung notwendig. Ist die Störungsbeseitigung vom Regalbediengerät (RBG) aus möglich, steigt der Bediener am Mast des RBG zum Hubwagen mit (Not-)Steuerstand und Lastaufnahmemittel hinauf. Von dort aus beseitigt er die Störung.

Beim Besteigen des RBG muss er mit einem Auffanggurt (persönliche Schutzausrüstung gegen Absturz, PSA gA) und außerdem über eine Steigschutzeinrichtung mit mitlaufendem Auffanggerät gesichert sein. Auffanggurt und Auffanggerät sind über ein Verbindungselement (z. B.Karabinerhaken) miteinander verbunden. Beim Absturz arretiert das mitlaufende Auffanggerät an der Führung und hält die zu sichernde Person.

Für den Aufenthalt auf dem Lastaufnahmemittel müssen ausreichend stabile und tragfähige Anschlagpunkte vorhanden sein, die oberhalb der zu sichernden Person angeordnet sein müssen. Dadurch werden Fallweg und Pendeln einer abgestürzten Person vermindert.

Das Verbindungsmittel des Auffanggurts muss dann zweisträngig ausgeführt sein. So wird beim Fortbewegen in der Höhe sichergestellt, dass man jeweils an einem Anschlagpunkt gesichert ist, während man den anderen Strang an einem neuen Anschlagpunkt befestigt.

Beim Übersteigen ins Regal müssen gegebenenfalls zusätzliche Anschlageinrichtungen verwendet werden, wenn die Bauteile des Regals zu scharfkantig oder für die Karabinerhaken zu dick sind. Für den Aufenthalt im Regal muss eine sichere Standfläche geschaffen werden – z. B. mit Aluminiumblechen, die im Regal nicht verrutschen können. Sie werden an der Hubeinrichtung des RBG mitgeführt.

Sichere Standflächen müssen auch zur Verfügung stehen, wenn ein Mitarbeiter in einen Kanal eines vollautomatischen Satellitenlagers einsteigen muss. Eine sichere Standfläche bieten hier Wartungsplattformen und auch Wartungswagen. Wartungswagen müssen mit einer Bremse ausgestattet sein und vom Regalbediengerät aus in die Gasse eingesetzt werden können. Zur Sicherung des Bedieners muss der Wagen außerdem über geeignete Anschlagpunkte für die persönliche Absturzschutzausrüstung verfügen.

Störungen in Ein- und Auslagerstichen

Auch in den Ein- und Auslagerstichen kommt es immer wieder zu Störungen, z. B. durch nicht korrekt positionierte Paletten bei der Palettenabgabe oder -aufnahme durch das RBG. Häufig müssen die Paletten manuell bewegt werden, um den automatischen Weitertransport zu ermöglichen.

Zu den Stichbahnen gelangt man je nach Regalkonzeption über das RBG oder über Zugangsbühnen an der Stirnseite der Anlage. Häufig sind jedoch für das Erreichen und den Aufenthalt an der Störungsstelle keine geeigneten Zugangsmöglichkeiten, Bühnen oder Standflächen vorhanden. Das erhöht die Unfallgefahr zusätzlich. Sind keine Zäune oder Geländer als kollektive Schutzmaßnahmen möglich, dann müssen zur Absturzsicherung Anschlagpunkte vorgesehen sein und persönliche Schutzausrüstung gegen Absturz eingesetzt werden.

Erste Hilfe und Rettung

Bei einem Absturz im Hochregallager sind erhebliche Verletzungen mit dauerhaften Gesundheitsschäden oder Todesfolge möglich. Diese Gefährdung muss daher als kritisch eingestuft werden.

Auch eine mit Auffanggurt gesicherte Person ist nach dem Fallen nur noch eingeschränkt oder gar nicht mehr handlungsfähig. Neben möglichen Verletzungen durch Anschlagen an Regalstützen u. Ä. besteht die Gefahr eines Hängetraumas (siehe Kasten). Ein Hängetrauma ist lebensbedrohlich, ein Abgestürzter somit ein medizinischer Notfall. Er muss schnellstmöglich aus der frei hängenden Position befreit werden. Besonders kritisch ist die Situation in TK-Lagern oder Lagern mit sauerstoffreduzierter Atmosphäre.

Öffentliche Rettungsdienste verfügen meist nicht über Einrichtungen und Personal zur Höhenrettung. Deshalb müssen Betriebe selbst personell und technisch so aufgestellt sein, dass sie eine prompte Bergung einer im Auffanggurt hängenden Person sicherstellen.

Personelle Anforderungen

Grundsätzlich sollten Mitarbeiter, die Arbeiten mit Absturzgefahren durchführen, ihre körperliche Eignung im Rahmen der arbeitsmedizinischen Eignungsuntersuchung für Arbeiten mit Absturzgefahren (G41) nachgewiesen haben.

Arbeiten mit Absturzgefährdungen müssen im Hochregallager immer in Anwesenheit eines zweiten Mitarbeiters durchgeführt werden, der im Notfall die Rettung einleiten kann. In der Regel müssen weitere geschulte Mitarbeiter für die Rettung verfügbar sein. Um eine wirksame Erste Hilfe sicher zustellen, kann es erforderlich sein, weitere Mitarbeiter mit den Schutzmaßnahmen für den Aufenthalt im Hochregallager vertraut zu machen. Ein im Auffanggurt hängender Abgestürzter muss nach der Bergung unbedingt für 20 bis 30 Minuten in Oberkörperhochlage oder Kauerstellung gebracht werden.

Abgerutschter Kletterer
HÄNGETRAUMA

Ein Hängetrauma kann auftreten, wenn eine Person länger in einem Auffanggurt frei und bewegungslos hängt. Dann ist der Rückstrom des Blutes aus den Beinen zum Herz behindert oder vollständig unterbrochen.

Aufgrund der Bewegungslosigkeit funktioniert die sogenannte Muskelpumpe der Beinmuskulatur zur Förderung des Blutrück­ stroms nicht mehr. Eine große Menge Blut versackt in den Bei­ nen. Dies kann zu einem (Kreislauf­)Schock führen.

Bereits nach wenigen Minuten bewegungslosem Hängen in einem Gurt können erste Anzeichen für ein Hängetrauma auf­ treten.

Regelmäßige Rettungsübungen

Für Rettungseinsätze im Hochregallager vorgesehene Mitarbeiter müssen mit dem eingesetzten Rettungssystem vertraut sein. Dazu müssen sie vor der ersten Benutzung und nach Bedarf, mindestens jedoch einmal jährlich, unterwiesen werden. Bei der Unterweisung werden mindestens folgende Aspekte behandelt:

Die praktischen Übungen müssen unter vergleichbaren Arbeits- und Einsatzbedingungen mit geeigneter unabhängiger zweiter Sicherung durchgeführt werden.

Autor: Markus Husemann