6 Gefährdungsbeurteilung

6.1 Vorgehen

(1) Die mit den Tätigkeiten verbundenen inhalativen (Einatmen), dermalen (Hautkontakt), physikalisch-chemischen (z. B. Brandgefährdung und Explosionsgefährdung) und sonstigen durch den Gefahrstoff bedingten Gefährdungen, wie z. B. durch Temperatur oder Druck sind zu beurteilen.

(2) Bei der Beurteilung der Gefährdung sind auch Gefährdungen durch das Verschlucken von Gefahrstoffen (orale Aufnahme) zu berücksichtigen, wenn die Möglichkeit dieser Gefährdung bei den zu beurteilenden Tätigkeiten nicht ausgeschlossen werden kann. Dies kann z. B. der Fall sein, wenn mit verschmutzten Händen oder Schutzhandschuhen in das Gesicht gegriffen wird. Zu berücksichtigen ist auch eine mögliche Kontamination von Pausenverpflegung und verwendeten Arbeitsmitteln durch unzureichende Hygiene.

(3) Die Gefährdungsbeurteilung ist Grundlage für die Festlegung von Schutzmaßnahmen, welche die Gesundheit und Sicherheit der Beschäftigten und anderer Personen bei allen Tätigkeiten mit Gefahrstoffen gewährleisten müssen. Die Allgemeinen Schutzmaßnahmen nach § 8 GefStoffV sind dabei immer zu berücksichtigen.

(4) Die Beurteilung muss so durchgeführt und dokumentiert werden, dass die getroffenen Entscheidungen nachvollziehbar sind. Ein Vorschlag für eine systematische Vorgehensweise ist in Anhang 1 dargestellt.

(5) Zur Unterstützung bei der Gefährdungsbeurteilung einschließlich Festlegung der Maßnahmen können Handlungsempfehlungen oder Hilfestellungen Dritter oder gleichwertige Dokumente und Berichte verwendet werden. Dies können z. B. sein:

  1. stoff- oder tätigkeitsbezogene TRGS,
  2. verfahrens- und stoffspezifische Kriterien nach TRGS 420 „Verfahrens- und stoffspezifische Kriterien (VSK) für die Ermittlung und Beurteilung der inhalativen Exposition“,
  3. branchen- oder tätigkeitspezifische Handlungsempfehlungen oder
  4. vorhandene Gefährdungsbeurteilungen Dritter (oder Teile davon).

(6) Stoff- oder tätigkeitsbezogene TRGS sowie VSK, die in einer TRGS bekannt gemacht werden, kann der Arbeitgeber unter den Maßgaben der entsprechenden TRGS oder VSK unmittelbar anwenden, wenn die zu beurteilenden Tätigkeiten und Gefährdungen dort beschrieben sind. In diesem Fall kann der Arbeitgeber bei den beschriebenen Tätigkeiten von einer Einhaltung der GefStoffV ausgehen, wenn er die dort beschriebenen Maßnahmen umsetzt. Wird von den Vorgaben einer TRGS abgewichen, so ist dies in der Gefährdungsbeurteilung zu begründen und zu dokumentieren. Die vorgenommenen Maßnahmen müssen in vergleichbarer Weise den Schutz und die Sicherheit der Beschäftigten gewährleisten. Treten neben den in einer TRGS oder einem VSK beschriebenen Gefährdungen noch weitere auf, ist die Gefährdungsbeurteilung zu ergänzen. Der Anwendungsbereich der VSK oder TRGS ist zu beachten.

(7) Werden branchen- oder tätigkeitsbezogene Handlungsempfehlungen oder vorhandene Gefährdungsbeurteilungen herangezogen, ist ihre Anwendbarkeit anhand der Kriterien aus Anhang 2 zu prüfen. Hierbei hat der Arbeitgeber:

  1. ggf. fehlende einzelne Angaben eigenständig zu ermitteln und bei der Festlegung der Maßnahmen zu berücksichtigen (siehe auch Anhang 2),
  2. die Gefährdungsbeurteilung im Hinblick auf ggf. nicht beschriebene Betriebszustände nach Nummer 5.4 Absatz 1 zu ergänzen.

(8) Wird die Gefährdungsbeurteilung unter Verwendung von Handlungsempfehlungen erstellt, entbindet dies nicht:

  1. vom Vorhalten aktueller Sicherheitsdatenblätter,
  2. vom Führen des Gefahrstoffverzeichnisses,
  3. von der Erstellung von Betriebsanweisungen, der Unterweisung und der arbeitsmedizinisch-toxikologischen Beratung (TRGS 555 „Betriebsanweisung und Information der Beschäftigten“),
  4. von den erforderlichen Vorkehrungen für Betriebsstörungen, Unfälle, und Notfälle,
  5. von erforderlichen Maßnahmen der arbeitsmedizinischen Vorsorge,
  6. von der Festlegung und Kontrolle, dass die Schutzmaßnahmen vorhanden, funktionsfähig und wirksam sind (siehe auch Nummer 7) und
  7. von der Dokumentation.

Ausnahmen gelten für Tätigkeiten mit geringer Gefährdung nach Nummer 6.2.

(9) Bedingungen zur sicheren Verwendung für „Besonders besorgniserregende Stoffe“ (SVHC), die sich aus der REACH-Verordnung Anhang XIV (Zulassungsverfahren) sowie für Stoffe aus Anhang XVII (Verwendungsbeschränkungen) ergeben, sind in der Gefährdungsbeurteilung zu berücksichtigen. Informationen dazu sind in Abschnitt 15 des Sicherheitsdatenblattes zu finden.

(10) Bei der Verwendung von Biozidprodukten sind die in der Zulassung genannten Auflagen zu beachten. Hinweise des Herstellers sind im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung zu berücksichtigen. Dabei sind insbesondere die betrieblichen Besonderheiten (Zeitdauern, Arbeitsumgebungen, usw.), die bei der abstrakten Bewertung im Zulassungsverfahren nicht berücksichtigt wurden, zu beurteilen.

6.2 Tätigkeiten mit geringer Gefährdung

(1) Tätigkeiten mit geringer Gefährdung sind Tätigkeiten, bei denen aufgrund der Eigenschaften des Gefahrstoffs, der Arbeitsbedingungen, einer nur geringen verwendeten Stoffmenge und einer nach Höhe und Dauer niedrigen Exposition einzelne ausgewählte Maßnahmen nach § 8 GefStoffV zum Schutz der Beschäftigen ausreichen.

(2) Ein eindeutiger Maßstab für „geringe Menge“ lässt sich allgemeingültig nicht angeben, da hierzu auch die gefährlichen Eigenschaften, das Freisetzungsvermögen des Gefahrstoffes und die konkreten Arbeitsbedingungen zu berücksichtigen sind.

(3) Bei der Beurteilung der Höhe und Dauer der Exposition sind inhalative und dermale Beiträge sowie physikalischchemische Eigenschaften zu berücksichtigen. Eine niedrige inhalative Exposition kann z. B. bei Feststoffen unter Einsatz emissionsarmer Verwendungsformen wie Pasten, Wachse, Granulate, Pellets oder Masterbatches vorliegen.

(4) Beispiele für Tätigkeiten mit geringer Gefährdung sind:

  1. Verwendung von Gefahrstoffen, die für den privaten Endverbraucher im Einzelhandel in Selbstbedienung erhältlich sind („Haushaltsprodukte“), unter haushaltsüblichen Bedingungen (geringe Menge und kurze Expositionsdauer), wie z. B.
  2. Verwendung geringer Mengen von Gefahrstoffen für bestimmte analytische Zwecke, z. B.
  3. 3. Reinigen von optischen Bauelementen mit Spiritus und Aceton während der Montage unter Zuhilfenahme eines getränkten Wattestäbchens (50ml-Lösemittel-Spender am Arbeitsplatz).

(5) Tätigkeiten mit geringer Gefährdung können nicht sein:

  1. gemäß TRGS 401 Tätigkeiten mit Gefahrstoffen, die mit „Ätz-/Reizwirkung auf die Haut Kategorie 1/1A/1B/1C; H314“ gekennzeichnet sind, wenn ein Hautkontakt nicht ausgeschlossen werden kann,
  2. Tätigkeiten mit Gefahrstoffen in engen Räumen und Behältern4),
  3. Tätigkeiten mit Flüssigkeiten, bei denen eine gefährliche explosionsfähige Atmosphäre entstehen kann. Dies kann schon bei geringen Flüssigkeitsmengen (im ml-Bereich) der Fall sein.

(6) Bei Tätigkeiten mit geringer Gefährdung sind nicht erforderlich: Substitution, technische und organisatorische Schutzmaßnahmen, persönliche Schutzausrüstung, weitere Expositionsermittlungen, Begrenzung der Zahl der Beschäftigten, Zutrittsverbote sowie eine Betriebsanweisung nach TRGS 555. Die bei Tätigkeiten mit geringer Gefährdung im Einzelfall ggf. erforderlichen Maßnahmen sind vom Arbeitgeber jedoch festzulegen, z. B. Sauberkeit am Arbeitsplatz.

(7) Liegt eine Tätigkeit mit geringer Gefährdung vor, kann auf eine detaillierte Dokumentation der Gefährdungsbeurteilung verzichtet werden (siehe hierzu Nummer 8 Absatz 6 dieser TRGS).

6.3 Gefährdung durch Hautkontakt mit Gefahrstoffen

(1) Gefährdung durch Hautkontakt liegt vor, wenn bei Feuchtarbeit oder Tätigkeiten mit hautgefährdenden oder hautresorptiven Stoffen eine Gesundheitsgefährdung der Beschäftigten nicht auszuschließen ist.

(2) Die Vorgehensweise zur Beurteilung der dermalen Gefährdung bei Tätigkeiten mit Gefahrstoffen und zur Auswahl geeigneter Schutzmaßnahmen beschreibt die TRGS 401.

6.4 Gefährdung durch Einatmen von Gefahrstoffen

(1) Gefährdungen durch inhalative Aufnahme von Stoffen können entstehen, wenn gefährliche Stoffe in Form von Gasen, Dämpfen, Nebel oder Stäuben in der Luft im Atembereich der Beschäftigten vorhanden sind. Das Ausmaß der Gefährdung hängt u. a. von den toxischen Eigenschaften der Stoffe ab und wird durch die Konzentration und die Dauer ihres Auftretens (Exposition) beschrieben. Der Arbeitgeber hat die Höhe und Dauer der inhalativen Exposition zu ermitteln.

(2) Methoden und Vorgehensweisen zur Beurteilung der inhalativen Gefährdung bei Tätigkeiten mit Gefahrstoffen und zur Kontrolle der Wirksamkeit von Schutzmaßnahmen durch messtechnische („Arbeitsplatzmessungen“) oder nichtmesstechnische Ermittlungen (z. B. Übertragung der Ergebnisse vergleichbarer Tätigkeiten oder Berechnungen) beschreibt die TRGS 402. Die Ermittlungen werden mit einem Befund abgeschlossen, der eine Aussage darüber beinhaltet, ob die getroffenen Schutzmaßnahmen ausreichend sind oder nicht sowie ob die Beurteilungsmaßstäbe nach Nummer 5.3 der TRGS 402 eingehalten werden. Der Befund enthält auch Festlegungen zu den Methoden und zu den Fristen zur Überprüfung der Wirksamkeit der Schutzmaßnahmen.

(3) Für die Beurteilung der Gefährdungen durch inhalative Exposition sind zu berücksichtigen:

  1. die in der TRGS 900 bekannt gemachten Arbeitsplatzgrenzwerte (AGW). Sie geben an, bei welcher Konzentration eines Stoffes akute oder chronische schädliche Auswirkungen auf die Gesundheit im Allgemeinen nicht zu erwarten sind. Arbeitsplatzgrenzwerte beziehen sich auf einen Zeitraum von acht Stunden, wobei zusätzlich Expositionsspitzen mit einer festgelegten Dauer von Kurzzeitwertphasen zu beachten sind,
  2. die in der TRGS 910 bekannt gemachten Akzeptanzund Toleranzkonzentrationen für krebserzeugende Gefahrstoffe. Ein Vergleich der Expositionshöhe, der die Beschäftigten ausgesetzt sind, mit den Akzeptanz- und Toleranzkonzentrationen entscheidet über die Notwendigkeit und Dringlichkeit von Schutzmaßnahmen nach dem gestuften Maßnahmenkonzept (siehe Nummer 6.7 Absatz 7). Für krebserzeugende Stoffe der Kategorien 1A oder 1B ohne Akzeptanz- oder Toleranzkonzentration oder ohne verbindlichen Grenzwert gelten das Minimierungsgebot nach dem Stand der Technik sowie Ziffer 4 oder 5 dieser Auflistung sowie Absatz 4,
  3. verbindliche Grenzwerte der EU gemäß § 7 Absatz 11 GefStoffV, sofern keine anderen Beurteilungsmaßstäbe vom BMAS bekannt gegeben wurden,
  4. stoffspezifische TRGS (z. B. TRGS 554 „Abgase von Dieselmotoren“), um die Gefährdung an Hand der stoffspezifischen TRGS zu beurteilen,
  5. Beurteilungsmaßstäbe, die vom BMAS bekannt gegeben werden, z. B. für Quarz-Feinstaub.

(4) Ist für einen Gefahrstoff kein verbindlicher Beurteilungsmaßstab nach Absatz 3 vorhanden, hat der Arbeitgeber andere geeignete Beurteilungsmaßstäbe in eigener Verantwortung heranzuziehen. Eine Auflistung anderer geeigneter Beurteilungsmaßstäbe enthält die Nummer 5.4.2 der TRGS 402.

(5) Bei Gefahrstoffen, die zu einer Sensibilisierung beim Einatmen führen können, gibt die TRBA/TRGS 406 Hinweise zur Gefährdungsbeurteilung und die Festlegung von Schutzmaßnahmen.

6.5 Physikalisch-chemische Gefährdungen

(1) Tätigkeiten mit Gefahrstoffen, die aufgrund einer physikalischen Gefahr nach CLP-VO (siehe dazu GefStoffV § 3) eingestuft sind, und Tätigkeiten mit anderen Gefahrstoffen mit einer physikalisch-chemischen Gefährdung gemäß Nummer 5.2 Absatz 3 Ziffer 2 sind bezüglich physikalischchemischer Gefährdungen und insbesondere bezüglich Brand- und Explosionsgefährdungen zu beurteilen.

(2) Bei den Brand- und Explosionsgefährdungen ist zu unterscheiden zwischen:

  1. Reaktionen explosionsfähiger Gemische in der Gasphase: Eine Gefährdung besteht, wenn sich explosionsfähige Gemische aus brennbaren Gasen, Dämpfen, Nebeln oder aufgewirbelten Stäuben mit Luft oder einem anderen Oxidationsmittel bilden. Chemisch instabile Gase, bei denen auch ohne Oxidationsmittel gefährliche Reaktionen auftreten können, stehen explosionsfähigen Gemischen gleich. Siehe dazu Nummer 6.5.1.
  2. Reaktionen energiereicher Stoffe oder Gemische in der kondensierten Phase: Eine Gefährdung resultiert aus dem Vermögen fester, flüssiger, pastöser oder gelatinöser Stoffe und Gemische, sich auch ohne Beteiligung von Luftsauerstoff mit sprunghaftem Druck- und/oder Temperaturanstieg umzusetzen (Detonation, Deflagration oder thermische Explosion). Siehe dazu Nummer 6.5.2.

Reaktionen in der Gasphase nach Ziffer 1 und Reaktionen in der kondensierten Phase nach Ziffer 2 sind von der Art der Gefährdung her unterschiedlich und erfordern dementsprechend auch unterschiedliche Schutzmaßnahmen.5)

(3) Brand- und Explosionsgefährdungen können auch von den in Nummer 6.5.3 aufgeführten Stoffen und Gemischen ausgehen.

(4) Brandgefährdungen werden insbesondere in der TRGS 800 behandelt. Die TRGS 800 benennt die entsprechenden Stoffe und Gemische, beschreibt die Informationsermittlung, die Beurteilung der Brandgefährdung sowie die Schutzmaßnahmen.

(5) Die Gefährdungsbeurteilung für Tätigkeiten mit Gasen ist umfassend in der TRGS 407 geregelt.

6.5.1 Explosionsfähige Gemische

(1) Explosionsfähige Gemische gemäß § 2 Absatz 10 GefStoffV, bei denen Luft das Oxidationsmittel ist und die unter atmosphärischen Bedingungen vorliegen (Umgebungstemperatur von -20 °C bis +60 °C und Druck von 0,8 bar bis 1,1 bar), werden explosionsfähige Atmosphäre genannt. Die Beurteilung der Gefährdung durch gefährliche explosionsfähige Atmosphäre ist in TRGS 720, 721 und 722 beschrieben. Für detaillierte Hinweise zur Einteilung explosionsgefährdeter Bereiche in Zonen siehe auch TRGS 509, 751 oder DGUV Regel 113-001 Anlage 4 (Beispielsammlung).

(2) Für explosionsfähige Gemische gilt GefStoffV Anhang I Nummer 1.6. Für chemisch instabile Gase sind die dort beschriebenen Prinzipien des Explosionsschutzes ebenfalls zu beachten und soweit zutreffend anzuwenden. Die Beurteilung, ob ein gefährliches explosionsfähiges Gemisch vorliegt, welche Maßnahmen zur Zündquellenvermeidung und welche Maßnahmen des konstruktiven Explosionsschutzes zu treffen sind, erfordert spezifische Informationen über die relevanten sicherheitstechnischen Kenngrößen des entsprechenden Gemischs bzw. chemisch instabilen Gases bei den entsprechenden Betriebsbedingungen.

(3) Sicherheitstechnische Kenngrößen, die für die Bewertung explosionsfähiger Gemische gemäß Absatz 2 benötigt werden, wie z. B. Explosionsgrenzen, Sauerstoffgrenzkonzentration, Zündenergien, Zündtemperaturen und Explosionsdrücke hängen von der Zusammensetzung und den Betriebsbedingungen (insbesondere von Temperatur und Druck) ab und müssen daher individuell beschafft und bewertet werden, um die Schutzmaßnahmen entsprechend festzulegen.

6.5.2 Energiereiche Stoffe und Gemische

(1) Zu den energiereichen Stoffen und Gemischen zählen insbesondere Stoffe und Gemische aus den Gefahrenklassen „Explosive Stoffe und Gemische und Erzeugnisse mit Explosivstoff“, „Selbstzersetzliche Stoffe und Gemische“ und „Organische Peroxide“ sowie einige oxidierende Stoffe und Gemische (wie z. B. Perchlorate und Chlorate). Zu den energiereichen Stoffen gehören auch einige explosionsgefährliche Stoffe und Gemische gemäß Methode A.146), die nach CLPVO nicht notwendigerweise mit GHS01 (Explodierende Bombe) gekennzeichnet sind.

(2) Die Gefährdungsbeurteilung für Tätigkeiten mit energiereichen Stoffen und Gemischen sowie die entsprechend zu treffenden Schutzmaßnahmen erfordern spezielles Expertenwissen.

(3) Erforderlichenfalls sind die sprengstoffrechtlichen Regelungen gemäß SprengG, 1. SprengV und 2. SprengV zu beachten.

(4) Informationen zur Gefährdungsbeurteilung bei Tätigkeiten mit energiereichen Stoffen und Gemischen gibt es in folgenden Regelungen und Leitfäden:

  1. Für Explosivstoffe und pyrotechnische Gegenstände:
    Kapitel 5.3 von „Ratgeber zur Gefährdungsbeurteilung, Handbuch für Arbeitsschutzfachleute“, Herausgeber Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, www.baua.de/de/Publikationen/Fachbuchreihe/Gefaehrdungsbeurteilung.html sowie die DGUV Regel 113–017 „Tätigkeiten mit Explosivstoffen“ und die DGUV Regel 113–003 „Regeln für Sicherheit und Gesundheitsschutz beim Zerlegen von Gegenständen mit Explosivstoff oder beim Vernichten von Explosivstoff oder Gegenständen mit Explosivstoff (Explosivstoff-Zerlegeoder Vernichterregel)“
  2. Für organische Peroxide:
    DGUV Vorschrift 13 „Organische Peroxide“ (bisher BGV B4)
  3. Für Ammoniumnitrat:
    TRGS 511 „Ammoniumnitrat“

(5) Bei der Gefährdungsbeurteilung von Tätigkeiten, bei denen oxidierende Stoffe und Gemische, mit brennbaren Stoffen und Gemischen oder Metallpulvern zusammen verarbeitet werden bzw. eine Kontamination mit diesen Stoffen und Gemischen (z. B. beim Zusammenlagern) nicht auszuschließen ist, sind Brand- und Explosionsgefährdungen gemäß Nummer 6.5 Absatz 2 Ziffer 2 zu berücksichtigen.

6.5.3 Weitere Brand- und Explosionsgefährdungen

Brand und Explosionsgefährdungen können auch von Stoffen und Gemischen ausgehen, die in folgende Gefahrenklassen eingestuft sind:

  1. Pyrophore Flüssigkeiten und Feststoffe, wenn diese mit Luftsauerstoff in Kontakt kommen, z. B. beim Öffnen von Behältern oder dem Fehlen von Inertgas.
  2. Selbsterhitzungsfähige Stoffe und Gemische, wenn diese über einen längeren Zeitraum in großen Volumina unter Luftzutritt gelagert werden z. B. Holzpellets, Holzspäne oder Kohle für Heizungsanlagen und Kraftwerke.
  3. Stoffe und Gemische, die in Berührung mit Wasser entzündbare Gase entwickeln, wenn diese feucht werden, z. B. in geschlossenen Räumen und Apparaturen; Sie sind bezüglich der Reaktion mit Wasser (benötigte Menge, ggf. Reaktion bereits mit Luftfeuchtigkeit etc.) und der ggf. dabei freigesetzten Reaktionswärme zu beurteilen. Außerdem ist das bei der Reaktion entstehende entzündbare Gas im Hinblick auf die Bildung von explosionsfähigen Gemischen/explosionsfähiger Atmosphäre zu beurteilen. Brandbekämpfung und erforderliche Löschmittel sind besonders zu berücksichtigen.

6.6 Sonstige Gefährdungen

(1) Sonstige durch Gefahrstoffe bedingte Gefährdungen können z. B. entstehen bei:

  1. Tätigkeiten mit erstickenden oder narkotisierenden Gasen, insbesondere beim Befahren von Behältern, Gärkellern („Kohlendioxidsee“),
  2. Verdrängung des Luftsauerstoffes durch Austritt von inerten Gasen aus Druckgasbehältern,
  3. Tätigkeiten mit kalten, tiefkalten oder heißen Flüssigkeiten, Dämpfen und Gasen, z. B. Metallschmelzen, Flüssigstickstoff, Trockeneis,
  4. Tätigkeiten mit Klebstoffen (z. B. Zusammenkleben der Finger durch „Sekundenkleber“).

Zu berücksichtigen ist auch die ggf. mögliche erhöhte Aufnahme von Gefahrstoffen als Folge von Stich- oder Schnittverletzungen an kontaminierten Apparateteilen (z. B. Nadeln oder Kanülen an Laborautomaten) durch Verletzung der Haut. Erforderlichenfalls sind die Gefährdungen im Einzelfall mit Hilfe der Informationen nach Nummer 5 fachkundig zu beurteilen.

(2) Gefährdungen durch Gefahrstoffe können außerdem entstehen bei:

  1. Abweichungen vom bestimmungsgemäßen Betrieb, z. B. Änderung bei Druck, Temperatur, Verweilzeit, pH-Wert,
  2. Verlust des geschlossenen Systems, z. B. durch Korrosion, Erosion, mechanische Beschädigung, Alterung,
  3. unzureichenden Vermischungen, die zu ungewollten Reaktionen, z. B. Schäumen führen,
  4. Fehlern beim Dosieren, Lenkungen der Stoffströme, Abweichungen der Ausgangsstoffe,
  5. Rutschgefahr durch ausgetretene oder niedergeschlagene Arbeitsstoffe.

6.7 Festlegung von Schutzmaßnahmen

(1) Als Ergebnis der Gefährdungsbeurteilung hat der Arbeitgeber die erforderlichen Schutzmaßnahmen bei den beurteilten Tätigkeiten mit Gefahrstoffen festzulegen.

(2) Bei der Auswahl der erforderlichen Schutzmaßnahmen sind immer die allgemeinen Schutzmaßnahmen gemäß § 8 GefStoffV zu berücksichtigen. Darüber hinaus sind erforderlichenfalls zusätzliche Schutzmaßnahmen gemäß §§ 9, 10, 11 und 15 in Abhängigkeit von den Eigenschaften der Gefahrstoffe festzulegen (siehe dazu die folgenden Absätze 3 bis 11). Die in dem Technischen Regelwerk beschriebenen Schutzmaßnahmen, z. B. die TRGS 500 sowie die besonderen Vorschriften für bestimmte Gefahrstoffe und Tätigkeiten im Anhang I der GefStoffV sind zu beachten.

(3) Erforderliche Notfallmaßnahmen bei Betriebsstörungen, Unfällen und Notfällen sind gemäß § 13 GefStoffV festzulegen.

(4) Bei der Festlegung von Schutzmaßnahmen ist die Rangfolge der Schutzmaßnahmen zu beachten: Vorrang der Substitution gemäß § 6 vor technischen und organisatorischen Maßnahmen und vor der Anwendung von Persönlicher Schutzausrüstung .

(5) Die Schutzmaßnahmen haben das Ziel, die Gefährdung der Beschäftigten zu minimieren. Das Minimierungsgebot ist unter anderem erfüllt, wenn

  1. bei Stoffen mit AGW der Befund bei der Ermittlung der Exposition lautet, dass die Schutzmaßnahmen ausreichend sind, sowie bei krebserzeugenden Stoffen mit einer Exposition-Risiko-Beziehung die Akzeptanzkonzentration unterschritten ist,
  2. eine stoff- oder tätigkeitsspezifische TRGS oder ein VSK angewendet wird,
  3. bei Stoffen ohne AGW oder gesundheitsbasierte Beurteilungsmaßstäbe der Stand der Technik eingehalten ist (siehe TRGS 460),
  4. bei hautgefährdenden Gefahrstoffen Hautkontakt ausgeschlossen ist,
  5. bei physikalisch-chemischen Gefährdungen, für die eine spezifische TRGS existiert und diese angewendet wird; dabei handelt es sich insbesondere um die TRGS 720 „Gefährliche explosionsfähige Atmosphäre – Allgemeines“ sowie die weiteren Technischen Regeln für Gefahrstoffe der 700er-Reihe,
  6. bei Stoffen ohne AGW, aber mit anderen gesundheitsbasierten Beurteilungsmaßstäben, z. B. MAK-Werten, der Befund nach der Ermittlung der Exposition darauf schließen lässt, dass die Maßnahmen ausreichend sind.

(6) Ergibt die Gefährdungsbeurteilung nach Nummer 6.3 und 6.4, dass die Allgemeinen Schutzmaßnahmen nicht ausreichen, so sind zusätzliche Schutzmaßnahmen nach § 9 GefStoffV festzulegen.

(7) Für Tätigkeiten mit krebserzeugenden, keimzellmutagenen und reproduktionstoxischen Gefahrstoffen der Kategorien 1A und 1B sind die besonderen Schutzmaßnahmen nach § 10 GefStoffV festzulegen. Für krebserzeugende Gefahrstoffe sind die Schutzmaßnahmen unter Beachtung des gestuften Maßnahmenkonzeptes der TRGS 910 festzulegen, wenn die Akzeptanzkonzentration oder ggf. der Arbeitsplatzgrenzwert (AGW) nicht unterschritten ist oder nicht nach verfahrens- und stoffspezifischen Kriterien (VSK) gearbeitet wird. Für bestimmte krebserzeugende, keimzellmutagene und reproduktionstoxische Gefahrstoffe gibt es in Technischen Regeln konkrete Vorgaben zur Gefährdungsbeurteilung und zur Festlegung von Maßnahmen.

(8) Bei Tätigkeiten mit einer Gefährdung durch Hautkontakt sind zusätzliche, in der TRGS 401 beschriebene Schutzmaßnahmen erforderlich.

(9) Bei physikalisch-chemischen Gefährdungen, insbesondere bei Brand- und Explosionsgefährdungen sind zusätzliche Schutzmaßnahmen nach § 11 und Anhang I Nummer 1 GefStoffV festzulegen. Spezielle Anforderungen bei Tätigkeiten mit Ammoniumnitrat und ammoniumnitrathaltigen Gemischen sind in Anhang I Nummer 5 GefStoffV, bei Tätigkeiten mit organischen Peroxiden in Anhang III GefStoffV festgelegt. Für Tätigkeiten, bei denen gefährliche explosionsfähige Atmosphäre auftreten kann, sind TRGS 722, TRBS 2152 Teil 3 und 4, TRGS 725 sowie TRGS 727 zu berücksichtigen. Detaillierte Hinweise zur Einteilung explosionsgefährdeter Bereiche in Zonen enthält DGUV Regel 113–001 Anlage 4 (Beispielsammlung).

(10) Die persönliche Schutzausrüstung ist auf Eignung für den jeweiligen Gefahrstoff und die Tätigkeiten zu überprüfen. Sind im Sicherheitsdatenblatt oder anderen Informationsquellen keine konkreten Angaben für die notwendige Persönliche Schutzausrüstung genannt, so müssen diese selbst ermittelt werden, z. B. durch Anfrage beim Hersteller. Hinweise zu Schutzhandschuhen finden sich in der TRGS 401.

4 Beispiele hierzu finden sich in der DGUV-Regel 113-004 „Behälter, Silos und enge Räume: Teil 1: Arbeiten in Behältern, Silos und engen Räumen“.
 
5 Die Entstehung gefährlicher explosionsfähiger Atmosphäre kann beispielsweise durch angemessene Lüftungsmaßnahmen vermieden werden, wohingegen die Reaktion energiereicher Stoffe so nicht unterbunden werden kann.
 
6 Explosionsgefährliche Stoffe und Gemische gemäß Methode A.14 nach Prüfmethodenverordnung (Verordnung (EG) Nr. 440/2008) sind nicht notwendigerweise einer Gefahrenklasse gemäß CLP-VO zugeordnet.